Buntes

Adomeit: „Dieses Team ist verdammt gefährlich“

Für Martin Adomeit (5.v.l.) ist klar, dass in Nigeria eine Menge Potenzial steckt (©privat)

27.10.2015 - Unser Trainingsexperte Martin Adomeit war im Sommer für fünf Wochen in Afrika, um das nigerianische Tischtennisteam bei den All African Games zu unterstützen. Im Interview mit myTischtennis.de erzählt er, wie viel Potenzial in den extrem motivierten und koordinativ überlegenen Nigerianern steckt und inwiefern sich der Tischtennisalltag in dem westafrikanischen Land von unserem unterscheidet.

myTischtennis.de: Du hast beim World Cup 2014 ja bereits Quadri Aruna zur Seite gestanden, vor ein paar Wochen hast du nun das komplette nigerianische Team bei den All African Games betreut. Bist du jetzt längerfristig für Nigeria oder Quadri Aruna zuständig?

Martin Adomeit: Nach dem World Cup gab es tatsächlich den Plan, dass ich Quadri Aruna regelmäßig betreue. Wir wollten das auch beide und es gab immer wieder Kontakt, aber leider ist das stets an Kleinigkeiten wie Flug oder Visum gescheitert. Vor den All African Games erhielt ich einen Anruf des nigerianischen TT-Präsidenten, ob ich nicht für eine dreimonatige Vorbereitungsphase und das Turnier nach Afrika kommen möchte. Ich war gerade auf dem Weg in den Urlaub und fragte: „Gern, wann denn?“ Darauf er: „Nächste Woche wäre gut!“ (lacht). Ich war nun insgesamt fünf Wochen dort und inzwischen ist mir der Planungsrhythmus der Nigerianer auch etwas klarer geworden. Ein anderes schönes Beispiel war, als wir mit dem nigerianischen Box-Team zu den All African Games fliegen wollten. Da hieß es, am Samstagmorgen werdet ihr abgeholt, haltet euch bereit! Um 18:30 Uhr bekamen wir jedoch Bescheid, dass wir erst am nächsten Tag fliegen würden. Und als wir dann endlich angekommen waren, mussten wir noch für 30 Leute ein Hotel suchen. Das wäre bei uns einfach nicht denkbar, dass so was nicht vorher organisiert würde. 

myTischtennis.de: Wie bist du damit zurechtgekommen?

Martin Adomeit: Man lernt zu entschleunigen. Ansonsten war eine meiner Hauptaufgaben, klarzumachen, in welche Richtung wir gehen. Da ist das Ziel und so kommen wir dahin - und wir biegen nicht links oder rechts von der Strecke ab (lacht). Die beiden Top-Profis im nigerianischen Team, Quadri Aruna und Segun Toriola, nehme ich davon aber aus. Sie sind fokussiert und professionell. 

myTischtennis.de: Warum holt Nigeria sich einen deutschen Trainer für die Betreuung der eigenen Spieler?

Martin Adomeit: Erfolgshunger. Der Präsident des Tischtennisverbands ist ein engagierter Mann, der weiß, dass es Probleme im Coachingbereich gibt. Aruna und Toriola sind erfahren im Welt-Tischtennis, aber sie haben einen Coach, der relativ wenig weiß. Also wurde ich engagiert, um die Richtung vorzugeben. Natürlich kann man bei solch einer Veranstaltung nicht zwei Teams gleichzeitig betreuen, deshalb hat der eigentliche Chefcoach sich im Teamwettbewerb mehr um die Damen gekümmert und ich um die Herren. Ich habe im Damenbereich aber nach Möglichkeit die Spiele geschaut, über Aufstellungen gesprochen und mit den Spielerinnen taktische Dinge abgestimmt. In den Einzelwettbewerben habe ich dann die Gesamtleitung übernommen, die Wettkampfvorbereitung geplant, Taktiken abgesprochen etc. und gleichzeitig die Sitzungen im TT-Bereich und des gesamtnigerianischen Teams besucht. Dies führte dazu, dass ich das olympische Dorf in der Regel um 6 Uhr morgens mit dem ersten Bus verließ und erst nach 23 Uhr zurückkehrte, um mich dann an Videos und Vorbereitungen für den nächsten Tag zu setzen. Wenn man dies 14 Tage lang durchzieht, ist der Akku danach recht leer, aber wir waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Der sensationelle Sieg des Herrenteams und vor allem auch, dass wir mit Funke Oshonaike und Quadri Aruna zwei Spieler sicher nach Rio schicken dürfen, war schon eine große Belohnung dafür. Dabei haben wir Aruna, der verletzt aus Tschechien zurückkam, zwei Tage vor Turnierbeginn noch mit Malaria und hohem Fieber ins Krankenhaus gefahren, so dass die Ausgangssituation nicht gerade optimal war.

myTischtennis.de: Welche Rolle spielt Tischtennis in Nigeria?

Martin Adomeit: Tischtennis spielt eine Riesenrolle! Bei meiner Vorstellung waren drei TV-Teams und über 30 schreibende Journalisten vor Ort. Und auch sonst waren bei jedem Training ständig Journalisten anwesend. Das Interesse an Sport ist in Nigeria allgemein unheimlich groß. Das merkt man schon allein dadurch, dass im Fernsehen dauernd Sport läuft. Und der Tischtennissport gehört zu den beliebtesten Sportarten. Man hat da Spaß dran und Nigeria ist seit Jahrzehnten relativ erfolgreich. An der Halle, wo die Lagos Open im Mai stattgefunden haben, hängt zum Beispiel immer noch ein drei Meter hohes Banner mit Quadri Aruna drauf.

myTischtennis.de: Gibt es Vereine und Ligen in Nigeria? Wie ist Tischtennis dort organisiert?

Martin Adomeit: Es gibt ein Ligensystem und es gibt Vereine - manche davon investieren richtig viel Geld. Zudem gibt es in jeder Region quasi einen Verbandstrainer, der vom Ministerium bezahlt wird. Aber das Ganze ist nicht von vorne bis hinten durchstrukturiert und auch der Informationsfluss ist ein Problem. Zudem sind viele nigerianische Topspieler in den Profiligen Europas aktiv.

myTischtennis.de: Wie sind die Bedingungen vor Ort? Wie muss man sich die Hallen vorstellen?

Martin Adomeit: Ich kann nur von der Halle sprechen, die ich gesehen habe, das National Center. Hier gab es einen roten Boden und Lüftungsschlitze, was in solchen Klimazonen aber völlig normal ist. Das führt aber dazu, dass man morgens die Halle fegen und die Tische abstauben muss. Aber das wird auch ganz selbstverständlich erledigt. Auch dass der Strom ab und zu ausfällt, ist ganz normal. Also hier waren die Bedingungen gut, die Halle war nur für Tischtennis gedacht, ich hatte bei jedem Training einen Arzt und einen Physiotherapeuten dabei. In Togo gab es noch nicht einmal eine Halle, das war etwas komplett anderes. Afrika ist halt nicht gleich Afrika. Bälle gibt es allerdings auch in Nigeria nur wenige - da herrschen Kosten- bzw. Transportprobleme. 

myTischtennis.de: Was sind die Stärken der nigerianischen Spieler? 

Martin Adomeit: Eine große Stärke ist vor allem die Motivation, bzw. die ganze Mentalität. Vor einem Training sagte der Coach, dass alle müde sind. Nachdem ich mit den Spielern einzeln gesprochen hatte und sie am Tisch standen, wollten sie gar nicht mehr aufhören. Diese Motivation, sich zu verbessern und es noch einmal zu probieren, ist einfach phänomenal. Denn wenn man bei den Temperaturen, wo selbst ich als Trainer zwei Trikots durchschwitze, nach der Einheit vom Tisch gezerrt werden muss, ist das wirklich bemerkenswert. Eine weitere Stärke ist das Koordinationsvermögen, weswegen sie auch schnell lernen können. Sie haben halt als Kind nicht den ganzen Tag vorm Fernseher oder Computer gesessen - das merkt man! Und als Drittes muss man die Schnelligkeit nennen, wo sie allein genetisch schon gute Voraussetzungen mitbringen.

myTischtennis.de: Und wo besteht noch Nachholbedarf?

Martin Adomeit: Im taktischen Verhalten. Sie spielen nach dem Motto: Hauptsache schnell! Es wird wenig platziert, sondern schön in den Schläger gespielt. Außerdem sind sie im Aufschlag-/Rückschlagbereich noch nicht Weltklasse. Da sind manche deutschen Jugendliche besser als die nigerianischen Nationalspieler. Dazu gibt es Defizite in der Trainings- und Wettkampfplanung und im Krafttrainingsbereich.

myTischtennis.de: Was schätzt du, wie weit kann Quadri Aruna noch vorstoßen?

Martin Adomeit: Bis ganz nach oben.

myTischtennis.de: Du glaubst, dass er irgendwann die Chinesen schlagen kann?

Martin Adomeit: Das weiß ich nicht, aber wir reden über die besten 20 und dass er jedem gefährlich werden kann. Wenn er mit solchen Rückschlägen nur 2:4 gegen Zhang Jike verliert, was wäre dann möglich, wenn man konsequent daran arbeiten würde? Wir haben mit dem Team das Ziel, im Mannschaftswettbewerb in Rio mitzuspielen - da muss man sich aber über die Weltrangliste für qualifizieren. Wenn wir das schaffen, dann ist dieses Team verdammt gefährlich. Über Medaillen zu reden, wäre vermessen, aber in einem System ohne Ersatzspieler kann viel passieren - das haben wir bei den European Games erlebt. Ich sehe in Afrika Möglichkeiten, aber noch nicht für 2016. Man muss halt auch erst einmal in seinem Kopf den Gedanken etablieren, dass man solche Leute schlagen kann. 

myTischtennis.de: Und du wirst ihnen dabei helfen?

Martin Adomeit: Das ist noch nicht gesagt. Ich wurde schon gefragt, ob ich bereit wäre, nach Nigeria zu ziehen, aber das bin ich nicht - zumal die meisten nigerianischen Topspieler ja auch in Europa spielen (lacht). Für mich standen die All African Games bereits in Verbindung mit den Olympischen Spielen. Aber die sind erst 2016. Glaub nicht, dass da gerade schon jemand dran denkt (lacht)! Mitte Dezember finden noch die Commonwealth Games in Indien statt, ein sehr wichtiges Turnier für Nigeria. Aber bis heute ist noch nicht raus, welche Spieler und Trainer dorthin fahren.

myTischtennis.de: Danke für das Gespräch, Martin. Wir sind gespannt, ob wir dich in Rio doch auf der nigerianischen Bank sehen werden.

(JS)

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