Blog

Der Phasendrescher: Ein Stoppball sorgt für Chaos

"Stopp!" - In dieser Situation kann man sich schon mal in die Haare kriegen (©Koch/Laven)

05.12.2016 - Die Situation ist wohl allen von Ihnen bekannt: Man ist gerade gut im Spiel, kurz vorm Punktgewinn, da hüpft ein Ball aus der Nachbarbox begleitet von einem lauten "Stopp!"-Ruf am eigenen Tisch vorbei - und dahin ist die Chance, das eigene Können in etwas Zählbares zu verwandeln. Für unseren Phasendrescher Philipp Hell, der die Abschnitte eines Amateurspiels wie kaum ein Zweiter zu analysieren weiß, ist dies einer der heikelsten Momente im ganzen Spiel.

Nun kommen wir zur beinahe kritischsten Phase während eines Tischtennisspiels: dem Stopp- oder Störball. Denn wo man sonst in unserer Sportart glücklicherweise selten bis nie Debatten um Abseits oder Aus führen muss, so können – vermeintliche oder echte – Stoppbälle doch deutlich an den Nerven eines Kreisligaspielers zerren. Und an den Nerven aller Umstehenden.

Immer im ungünstigsten Moment

Prinzipiell scheinen Stoppbälle immer zur Unzeit zu kommen: Gerade hat man sich den Gegner schön zurechtgelegt und bereits zum Angriffsschlag ausgeholt. Gerade pumpt der Kontrahent nach einem ellenlangen Ballwechsel wie ein Maikäfer und steht kurz davor, einen bitteren Leichtsinnsfehler zu begehen. Oder aber man will nach zwei Ballonabwehrbällen des Gegenübers nun endlich den Elfmeter verwandeln, holt aus, trifft den Ball – doch dann hoppelt von links ein Ball neben die Platte gefolgt von einem übereifrigen Mitspieler des Gegners, der lautstark „Stopp!“ schreit, während er gefährlich wackelig über die Bande klettert. Tja, nun ist guter Rat teuer und sofort entbrennen die üblichen Debatten. Wer war wie sehr gestört? Wer hat den hereinfallenden Ball überhaupt bemerkt? War der Ball eventuell schon seit einer halben Minute gespielt? Hätte man den Schlag überhaupt noch erreichen können? Warum klettert der Mann ebenso ungefragt wie unbeholfen ins Spielfeld? Und überhaupt darf ja nur der Zähler „Stopp“ sagen – oder!?

Der Zähler, egal welcher Mannschaft er angehört, meidet jeden Blickkontakt und studiert angestrengt die Uhr an der gegenüberliegenden Wand der Halle. „Da müsst ihr euch irgendwie selber einigen“, murmelt er noch so in seinen nicht vorhandenen Bart – keine große Hilfe. Dafür plustern sich jetzt die bisher völlig teilnahmslosen Mitspieler auf und die äußerst spärlich vorhandenen Zuschauer mischen sich von der Bank ein. Mit hochrotem Kopf geifern sie den Gegner an: Jedes Jahr das Gleiche mit dir, lächerlich so was, der Ballwechsel war schon lange durch, mach lieber mal richtige Aufschläge!

Rudelbildung wie beim Fußball

Schon kommt es zu einer kleinen Rudelbildung die jedem Fußballspiel zur Ehre gereichen würde, denn nun eilen dem armen Kerl seine Mitspieler zu Hilfe, denn auch sie haben es vom anderen Ende der Halle natürlich ganz genau gesehen, und überhaupt: Du hast hier gar nichts zu sagen, misch dich da nicht ein, das war klar Stopp, soll doch euer Zähler endlich mal die Tomaten von den Augen nehmen. In dieser etwas verfahrenen Situation kommt dann selbstverständlich das absolute Totschlagargument zum Einsatz, welches auch gerne bei zweifelhaften Kantenbällen bemüht wird: Ich würde es doch sagen, wenn es wirklich so wäre. Ja genau und danke fürs Gespräch! Nach einigen Minuten beruhigt sich die Situation langsam wieder, der Ballwechsel wird wiederholt: Angabenfehler. Es gibt also doch noch Gerechtigkeit auf der Welt. Die Halle tobt. Zeit für uns, etwas durchzuschnaufen und in Ruhe auf die verschiedenen Typen bei Störbällen einzugehen. Denn natürlich gibt es da – einmal mehr - schon so einige Spezialisten unter den Tischtennisspielern.

Da wäre zum einen der unkonzentrierte Nervöse. Irgendwie kann er sich überhaupt nicht auf sich und sein Spiel fokussieren, ständig fühlt er sich von irgendetwas gestört: Sei es, dass am anderen Ende der Halle eine Flasche umfällt. Oder ein Zuschauer niesen muss. Dass an der Wand hinten jemand durchs Spielfeld huscht, um den verzweifelten Mitspieler am Nebentisch zu coachen. Dass die Hallenuhr lautstark auf die volle Stunde springt. Oder, dass am Nachbartisch jemand „Stopp“ schreit. Immer unterbricht er sofort, hebt die Hand, verdreht die Augen, hadert mit dem Schicksal, blickt genervt zur – in seinen Augen – lärmenden Bank, unterbricht seine Aufschlagbewegung oder lässt den Ball des Gegners einfach neben sich vorbeihüpfen. War ja eh ein Störball, schon wieder, mannomann, heute werden wir hier ja nie fertig.

Durch nichts aus der Ruhe zu bringen

Ganz anders hingegen der in sich ruhende Routinier. Hinter seinem Gegner jubeln vier Mitspieler oder beraten sich für die weiteren Partien? Interessiert ihn nicht. Ein Ball vom Nebentisch rollt zwischen seinen Beinen herum? Ihm doch schnurz. Jemand schießt von links einen Ball quer über die Platte in maximal einem Meter Höhe? Kein Problem, der Routinier spielt einfach seinen Stiefel weiter. Möglich, dass es an seinem - dem Alter völlig angemessen – eingeschränkten Sichtfeld und verminderten Hörvermögen liegt.

Dann gibt es da noch den Strategen. Manche haben auch weniger schmeichelnde Bezeichnungen für ihn übrig („Bescheißer“ ist da noch die freundlichste), denn gegen ihn ist es immer unangenehm zu spielen. Er scheint nämlich seine Augen überall zu haben, nicht nur auf der eigenen Platte. Sobald er im Verlauf eine Ballwechsels auch nur leicht in die Defensive kommt, wittert er jeden potentiellen Störball von den Nachbartischen, auch wenn diese sicherlich an der Bande hängen bleiben werden oder definitiv rechtzeitig aufgehoben werden. Doch kaum setzt der Gegner zur Attacke an, schon wird - schwupps - die Hand gehoben und auf den Zelluloid-Störenfried in zehn Metern Entfernung gedeutet (welcher sich schon lange wieder in der Hand seines Besitzers befindet). Dann ein Achselzucken, ein treuherziger Augenaufschlag und ein entschuldigendes „Du, ich dachte der Ball kommt echt rüber, sorry!“ Allerdings erscheint das beim vierzehnten Mal innerhalb eines Matches nicht mehr wirklich glaubwürdig.

Das Gute im Tischtennisspieler

Beliebter ist da schon der Gutmütige. Er hat in seinem Leben noch keine einzige Spielunterbrechung durch Gegner, Zähler, Zuschauer oder den Hausmeister in Frage gestellt. Ob leichtgläubig, gleichmütig oder nicht ehrgeizig genug: Er glaubt immer an das Gute im Menschen, also auch im Tischtennisspieler. Wenn sich sein Gegner gestört gefühlt hat, dann ist das eben so, dann gibt es Wiederholung, keine Frage. Auch dreimal hintereinander, wenn es sein muss. Und auch beim Matchball.

Zu guter Letzt sei noch das Alpha-Tier genannt. Er hat keine prinzipielle Meinung zu Störbällen, aber sollte es einmal zu unterschiedlichen Meinungen kommen: Dann hat er recht. Und zwar immer. Da diskutiert er gar nicht. Stattdessen macht er seinen Standpunkt einfach deutlich (sehr deutlich). Er muss dazu auch gar nicht die Stimme heben, ganz im Gegenteil: Nachdem er kurz kundgetan hat „Du warst nicht gestört! Is so!“, schweigt er eisern. Er starrt seinen Kontrahenten überzeugt und überzeugend an. Er ignoriert die eifrigen Winker von der Zuschauerbank, die ihrem Mann in der Debatte beistehen wollen. Das Alpha-Tier wartet darauf, dass sich alle wieder einkriegen und spielt dann einfach weiter, Satzball hin oder her. Das ist er von der Arbeit so gewohnt, denn auf die schlichte Frage seiner Mitspieler nach seinem Beruf hatte er vor Jahren lediglich geantwortet: „Chef.“

(Philipp Hell)

Kommentar schreiben

Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.

* Pflichtfeld

Copyright © 2024 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.