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Dietmars Blog: Petrissa Solja - mal wieder eine neue Chance

Petrissa Solja hatte in diesem Jahr häufig Grund zum Jubeln (©Fabig)

30.11.2015 - Petrissa Solja hat im ausklingenden Jahr mehrfach die Weltspitze aufgemischt, zuletzt beim World Cup der Damen für einen großen Coup gesorgt und sich in der Weltrangliste in die Reichweite der Top 10 hochgeschmettert. Unser Blogger Dietmar Kramer macht sich Gedanken, welche Chancen sich durch Soljas rasanten Aufstieg - nicht nur für die 21-Jährige selbst - bieten und wie die Möglichkeiten genutzt werden können.

Gut einen Monat ist seit Petrissa Soljas bronzenem Husarenstreich beim Weltcup in Japan schon wieder vergangen. Und beinahe wäre das bisher beste Ergebnis der 21-Jährigen und zugleich einer der bedeutendsten Erfolge für das deutsche Damen-Tischtennis in der gesamten Nachkriegsgeschichte schon wieder in Vergessenheit geraten, wenn der Weltverband Solja kürzlich nicht auch aufgrund ihres Auftritts in Nippon für die Wahl zur „Spielerin des Jahres 2015“ nominiert hätte. Zwar ist durchaus nachvollziehbar, dass die deutsche Sport-Öffentlichkeit derzeit noch nach „Petrissa Wer?“ fragt, jedoch lässt die trotz Soljas phänomenaler Leistung weiterhin idyllische Ruhe um den Shooting Star für die Zukunft kaum nachhaltige Besserung dieses Zustandes erhoffen. 

Parallelen zu Versäumnissen bei Nicole Struse

Die Situation weist beklagenswerte Parallelen zur Karriere von Nicole Struse vor gut 20 Jahren auf. Auch die deutsche Rekordmeisterin hatte in der ersten Hälfte der 90er Jahre bereits nachdrücklich angedeutet, in die Weltspitze vorstoßen, zumindest auf dem Kontinent eine prägende Rolle sowie mitunter auch die seinerzeit dominierenden Chinesinnen und übrigen Top-Asiatinnen wenigstens in Bedrängnis bringen zu können. Als sich das charismatische, weil ebenso streitbare wie streitlustige „Wildpferd“ 1996 bei den Europameisterschaften jedoch auch tatsächlich zur dreifachen „Königin von Bratislava“ gekrönt hatte, passierte fatalerweise – nichts. Im zuständigen Umfeld des Deutschen Tischtennis-Bundes wurde Struses Coup erst einmal immer noch als eine Überraschung, mit der man doch überhaupt nicht rechnen konnte, eingestuft und hatte denn auch für diesen „Tag X“  keinerlei Vorstellungen, geschweige denn eine auch nur annähernd taugliche Strategie zur Vermarktung seines neuen Aushängeschildes neben dem arrivierten „Mr. Tischtennis“ Jörg Roßkopf in der Schublade. Auch Struses Verein oder gar die Bundesliga als Ganzes vermochten nicht das große Kapital der potenziellen „Miss Tischtennis“ zu erkennen und zu heben, das in dem „Rohdiamanten“ zweifellos schlummerte.

Gut zwei Jahrzehnte später sind die Rahmenbedingungen zur Popularitätssteigerung von Solja und ihres Sports selbst für Tischtennis-Verhältnisse recht günstig - gemessen an der Häufigkeit von deutschen Spielerinnen an der Grenze zur absoluten Weltklasse ja sogar fast schon wieder einmalig. Neben dem Erfolg als sicherlich unabdingbarer Grundvoraussetzung stehen mit den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro sowie den Einzel-Weltmeisterschaften beim Heimspiel 2017 in Düsseldorf die denkbar größten Bühnen zur Präsentation schon in unmittelbarer Zukunft zur Verfügung. 

Für Vorbildrolle bestens geeignet

Auch ließe sich durch die – wenigstens relativ – hohe Präsenz von Timo Boll und noch zukunftsweisender von Dimitrij Ovtcharov tatsächlich erneut eine Pärchen-Konstellation schaffen, in der Solja das „Gesicht des deutschen Damen-Tischtennis“ sein könnte. Nichts gegen Soljas „Top 20“-Kolleginnen Han Ying und Shan Xiaona, doch bei aller „political correctness“ einerseits ist andererseits nicht von der Hand zu weisen, dass sich Aktive aus dem eigenen Land und dem eigenen Nachwuchs grundsätzlich deutlich besser für die Rolle eines Vorbildes für die jungen Mädchen und Teenagerinnen im deutschen Tischtennis eignen als noch so starke gebürtige Chinesinnen mit einem deutschen Pass.

Zumal Solja über das weitere Rüstzeug schon weitgehend verfügt. Ihre durchaus aparte Erscheinung kombiniert die junge Frau mit gehörigen Portionen Charme, Witz und Intelligenz. Auch scheint Solja der Umgang mit Fans und der Öffentlichkeit nicht unangenehm zu sein. Nicht zuletzt besitzt die Aufsteigerin des Jahres auch jede Menge der heutzutage in der medialisierten Sportwelt stark gefragten Emotionalität.

Eine Strategie aus einem Guss ist nötig

Das Feld scheint also bereitet, eine weitere Chance durchaus gegeben. Die weitere Entwicklung hängt nunmehr - von Petrissa Soljas persönlicher Bereitschaft zur Übernahme der zusätzlichen Rolle als Leitfigur einmal abgesehen – in ganz besonderem Maße vom viel zitierten Umfeld der aufstrebenden Hoffnungsträgerin ab. Verband, Klub, Liga, Trainer, Ausrüster, in Soljas Fall wohl auch die Familie  – alle zusammen sind gefordert, für das neue Juwel schon jetzt einen Plan aus einem Guss unter Berücksichtigung aller Interessen, zuvorderst natürlich Soljas sportlicher Ziele, zu skizzieren und sich und vor allem die Athletin selbst für eine womöglich sehr rosige Zukunft zu wappnen. 

Allerdings erscheint die Aufgabe nur auf den ersten Blick durch Soljas Vorleistungen in Form von Top-Ergebnissen nicht allzu schwer. Doch gerade die jüngere Vergangenheit hat dem Tischtennis-Sport vor Augen geführt, dass für erhoffte Medienpräsenz entgegen so mancher Einflüsterungen weitaus mehr notwendig ist als Wochenende für Wochenende Spitzenresultate abzuliefern und danach den einen oder anderen Allgemeinplatz vor bereit stehenden Kameras aufzusagen oder Ähnliches in sozialen Netzwerken zu platzieren. 

Medienarbeit kann hartes Brot sein, richtig und sinnvoll gesteuert aber auch Spaß machen und dadurch sogar den erhofften Erfolg haben, darf jedoch gerade in Sportarten wie Tischtennis keinesfalls aus nahezu totaler Abschirmung des Sportlers gerade vor Mikrofonen und Kameras bestehen. Profil, erst recht ein markantes, entsteht heutzutage weitgehend außerhalb der Box und nicht mehr nur durch Schlagfertigkeit am Tisch. Wenn zumindest schon einmal damit begonnen werden würde, Soljas Einsätze nicht mehr fast allwöchentlich als für gerade einmal eine Handvoll versprengter Zuschauer interessant darzustellen, hätten die Athletin und ihr Sport für den Anfang schon einmal einiges gewonnen.

Hoffnung auf Lehren aus der Vergangenheit

Wie eingangs schon erwähnt: Der zurückliegende Monat fast vollkommener Funkstille rund um Petrissa Solja bedeutete leider einen Fehlstart für den ja so oft beschworenen Aufbruch mit frischem Personal in eine bessere Zukunft. Bleibt nur zu hoffen, dass Petrissa Solja und auch dem deutschen Damen-Tischtennis Versäumnisse wie in der „Ära Struse“ erspart bleiben und die Lehren aus den damaligen Fehlern gezogen werden.

(Dietmar Kramer)

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