WM 2017

WM-Zeitzeuge Schöler: „Zuschauer sind ohnmächtig geworden“

Eberhard Schöler erlebte große Temperaturschwankungen bei der WM 1969 in München (©Borussia Düsseldorf)

22.04.2017 - Noch fünf Wochen bis zur Eröffnung der Weltmeisterschaften in Düsseldorf und wir bewegen uns in unserem WM-Countdown immer weiter in die Vergangenheit. Die nächste Heim-WM, die wir uns vornehmen, sind die Titelkämpfe von München 1969. Als Zeitzeugen konnten wir keinen Geringeren als den WM-Finalisten Eberhard Schöler gewinnen, der uns von schwierigen Bedingungen in der Halle, der vergebenen 2:0-Führung und seinen ganz persönlichen Highlights berichtet.

 myTischtennis.deEberhard Schöler, Sie sind bis heute der einzige deutsche WM-Finalist im Herren-Einzel. Was bedeutet Ihnen dieses Alleinstellungsmerkmal?

Eberhard Schöler: Wenig. Das ist heute Geschichte. Damals war es großartig, dass die Zuschauer deutsche Teilnehmer in den Endspielen unterstützen konnten.

myTischtennis.deHat sich Ihre Sicht auf Ihren sicherlich größten Erfolg im Laufe der Jahre verändert?

Eberhard Schöler: Eigentlich nicht. Ich habe das immer ziemlich realistisch gesehen. In München war ich nicht einmal unter den ersten 16 gesetzt. Beide Silbermedaillen waren Überraschungen, aber sportlich auch möglich. Wir haben darum gekämpft.

myTischtennis.deWas kommt Ihnen beim Gedanken an München 1969 spontan als Erstes in den Sinn?

Eberhard Schöler: Die Begeisterung der Zuschauer. Eine Fangruppe aus Pulheim hielt immer eine Fahne hoch mit der Aufschrift „Schöler for Cup“.

myTischtennis.deSie sind der Einzige, der davon berichten kann: Wie fühlt sich ein WM-Finale im Einzel bei einer WM vor eigenem Publikum an?

Eberhard Schöler: Vielleicht bin ich zu zurückhaltend. Ich wollte natürlich gewinnen, aber letztlich war es ein Spiel während einer WM wie viele andere vorher.

myTischtennis.deHatten Sie nach Ihren beiden vorherigen WM-Bronzemedaillen Druck empfunden, auch wegen des Heimspiels?

Eberhard Schöler: Nein. Aber ich sah die Chance, nach Bronze 1965 und 1967 nun mit einer besseren Zeitplanung diese Ergebnisse zu wiederholen oder sogar zu verbessern.

myTischtennis.deIn allen Berichten über das WM-Finale wird Ihre sportlich-faire Haltung bei der Niederlage gewürdigt. Haben Sie sich denn wirklich nie über die vergebene 2:0-Führung geärgert?

Eberhard Schöler: Shigeo Itoh war in diesem Spiel besser. Außerdem ist er ein netter Mensch. Leider kann ich nur wenige Worte Japanisch und er außer „Danke“ und „Bier“ kein Deutsch und auch kaum Englisch. Wenn wir uns sehen, versuchen wir ein Bier miteinander zu trinken.

myTischtennis.deWie haben Sie sich in der ersten Zeit nach München als "Fast-Weltmeister" gefühlt?

Eberhard Schöler: Tischtennis war nach München etwas aufgewertet. Das habe auch ich positiv zu spüren bekommen. Ansonsten habe ich mich auf meine Familie – Diane und ich hatten damals ja bereits unsere Tochter Cindy -, den Beruf und zukünftige Tischtennisveranstaltungen konzentriert.

myTischtennis.deWas lief nach dem zweiten Satz anders als bis dahin?

Eberhard Schöler: Nach der Kälteperiode zu Beginn der Meisterschaft wurde es warm in der Halle. Während der Endspiele mit 7000 Zuschauern war es sehr heiß. Unter dem Hallendach sind dann einige Zuschauer ohnmächtig geworden. Daraufhin hat die Hallenleitung die Klimaanlage zu Beginn des dritten Satzes eingeschaltet. Einige Verteidigungsbälle wurden dadurch in ihrer Flugkurve verändert. Ähnliche Erfahrungen haben die Teilnehmer an der WM in Kuala Lumpur im vergangenen Jahr gemacht. 1969 wurde die Klimaanlage noch im dritten Satz nach Protesten ausgeschaltet. Der negative Effekt blieb allerdings noch einige Minuten erhalten.

myTischtennis.deGab es einen Moment, einen ausgespielten Punkt, nachdem Ihnen eindeutig klar war, dass Sie das Finale nicht mehr gewinnen würden?

Eberhard Schöler: Nein. Es war von Anfang an eigentlich nur die Frage, wie lange meine Kondition halten würde. Ich hatte mir im Mannschaftsendspiel gegen Kohno eine Oberschenkelzerrung zugezogen, die Diane und ich jeweils abends mit Kalt- und Warmwassermassagen behandelt haben. Einen Arzt und Masseur hatte unsere Mannschaft damals noch nicht. Das war eine der ersten Maßnahmen, die Hans Gäb 1981 mit seinem neuen DTTB-Präsidium einführte, dem auch ich als Sportwart angehörte. Insofern waren meine Erfahrungen als Spieler ganz nützlich.

myTischtennis.deWar die Niederlage denn im Rückblick so überhaupt nicht vermeidbar?

Eberhard Schöler: Der dritte Satz war ganz knapp – nur um zwei Bälle verloren. Auch im vierten Satz gab es noch Chancen. Dann aber war ich einfach kaputt. Ich hatte immerhin vor dem Finale vier heiß umkämpfte Spiele gegen Amelin, Alser, Stanek und Tasaka jeweils mit 3:2 gewonnen, ohne komplett fit zu sein.

myTischtennis.deWie waren Ihre Gefühle im Verlaufe des Finales? Waren Sie vorher nervös, was ging Ihnen in der Pause nach dem 2:0 durch den Kopf, und was war Ihr erster Gedanke im Moment von Itos Matchball?

Eberhard Schöler: Ich habe mich auf das Spiel konzentriert und versucht, mit Schnittwechsel Punkte zu machen. Zwischendurch anzugreifen, war wegen meiner leichten Schmerzen bei schnellen Bewegungen schwierig. 

myTischtennis.deHaben Sie das Finale später noch öfters in Gedanken gespielt?

Eberhard Schöler: Ehrlich gesagt: nein. Aber ich sehe mir in seltenen Fällen eine Aufnahme der Fernsehübertragung des ZDF an, die ich in meinem Archiv habe.
 

Auf der zweiten Seite erzählt Eberhard Schöler von Umgang der DDR- und BRD-Mannschaften miteinander, über seinen Popularitätsschub nach der WM und überlegt, wie es mit Timo Boll nach dessen Karriere weitergehen könnte…

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