WM 2017

WM-Zeitzeuge Roßkopf: „Wir haben TT aus dem Tiefschlaf geholt“

Für immer durch eine Goldmedaille verbunden: Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner (©Roscher)

01.04.2017 - Heute sorgt Jörg Roßkopf vom Rand der Box aus dafür, dass seine Schützlinge bestens auf ihre Gegner vorbereitet sind. 1989 stand er selbst am Tisch und sorgte bei der Heim-WM in Dortmund zusammen mit Steffen Fetzner für eine Riesen-Überraschung im Doppel. In unserer Zeitzeugen-Reihe erinnern wir uns mit ihm an den Titelgewinn und lauschen seinen Anekdoten wie auch seinen Einschätzungen, ob solch ein Boom heute wieder möglich wäre, wenn es Gold in Düsseldorf gäbe.

myTischtennis.deWären Sie eigentlich lieber heute Weltmeister geworden statt damals schon?

Jörg Roßkopf: Sicher hätte man andere Verdienstmöglichkeiten. Aber ich bin froh, dass es 1989 gelungen ist, denn heute ist es noch schwieriger, Weltmeister zu werden. Heute wäre es auch wohl kaum noch möglich, wirklich solch einen Boom auszulösen wie wir damals, auch wenn Timo Boll in ganz Deutschland für Tischtennis steht. Es würde auch anders als 1989 kein Bundesliga-Finale drei Stunden live im Fernsehen gezeigt werden. 

myTischtennis.deDie WM in Dortmund bestand ja nicht nur aus Ihrem Doppel-Erfolg. Es gab ja noch andere Wettbewerbe...

Jörg Roßkopf: Wir mussten uns vorher ja null komma null Gedanken über irgendeine Medaille machen, egal wo, es waren überall null Chancen. Es ging eigentlich nur darum, unsere Sportart in Deutschland zu präsentieren. Dass am Ende auch noch zwei Deutsche Weltmeister werden, hat natürlich perfekt hineingepasst.

myTischtennis.deWas hat die WM 1989 international für Auswirkungen gehabt?

Jörg Roßkopf: Nach Dortmund haben die Europäer mit ihren damals vielen starken Spielern wirklich daran geglaubt, den Chinesen Paroli bieten zu können. Danach hatte sich von den Besten keiner mehr damit zufrieden geben wollen, Nummer zehn der Welt zu werden, sondern jeder wollte Europameister, Weltmeister oder am besten Olympiasieger werden. Wegen der vielen starken Europäer ist ein Jan-Ove Waldner erst sieben Jahre nach seinem WM-Titel von 1989 auch zum ersten Mal Europameister geworden.

myTischtennis.deNoch einmal zurück zu Ihrem Titelgewinn: Wie war eigentlich die Feier?

Jörg Roßkopf: Das war in der Bar im Hotel neben der Halle - und ich muss schon sagen, dass das ziemlich kräftig gewesen ist. Ich weiß nicht, ob die Bar schon mal vorher eine solche Feier gesehen hatte. Damals hat man nach solch einem Ereignis, eine Mega-Überraschung außerdem, auch noch mit allen zusammen gefeiert. Keiner ist ins Bett gegangen. 

myTischtennis.deDas muss aber ein ziemlich runder Deckel geworden sein, oder?

Jörg Roßkopf: Als wir am nächsten Morgen das alles bezahlen wollten - und das wäre wirklich ziemlich teuer geworden - hatte unser damaliger Chefbundestrainer Charles Roesch das alles schon beglichen. Es war aber wirklich eine Riesenfeier, wie immer besonders dann, wenn ein Erfolg völlig überraschend kommt wie unserer damals auch.

myTischtennis.deSind noch irgendwelche Erinnerungen an die Nacht vorhanden?

Jörg Roßkopf: An die Nacht nicht, aber vom Tag danach: Wir hatten ja gleich ein Fotoshooting bei unserem damaligen Sponsor, wohin auch der damalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch von Hans eingeladen worden war, und Samaranch dürfte schon gemerkt haben, dass wir etwas länger gefeiert haben, er hat uns jedenfalls mit ziemlich staunenden Augen angeschaut, wie ramponiert wir ausgesehen haben. Aber so muss es ja auch sein.

myTischtennis.deHaben Sie noch andere Anekdoten parat?

Jörg Roßkopf: Naja, so viel Lustiges ist ja nicht passiert, wir waren ja in allen Wettbewerben früh draußen. Wirklich witzig schien allerdings zuerst, wie Hans Wilhelm Gäb uns in einer Besprechung eine Goldmedaille zeigte und dazu die Prämie nannte, die der Verband zu zahlen bereit war. Aber an so etwas hatte ja keiner von uns geglaubt, da hätte der Verband noch eine Null an die Summe dranhängen können. Ich glaube heute, dass Hans insgeheim auch nicht daran geglaubt hat, dass jemand die Medaille um den Hals haben wird und der Verband das dann tatsächlich auszahlen musste. Aber das hat sich danach ja auch tausendfach ausgezahlt.

myTischtennis.deWelche Summe wurde denn genannt?

Jörg Roßkopf: Eine relativ hohe, eine auch, die zum damaligen Zeitpunkt für den Verband hoch gewesen ist und ein Verband heute gar nicht mehr bezahlen kann. Das war ungefähr die Höhe eines Jahresverdienstes für einen Spieler, und auch wenn wir uns das teilen mussten, war das schon eine Menge Geld für uns.

myTischtennis.deIn Kürze findet in Düsseldorf die nächste Heim-WM statt. Mal gesetzt den Fall, dass es dabei mit dem ersten WM-Gold für Deutschland seit Ihrem Erfolg in Dortmund klappen wird: Wären solche Auswirkungen wie nach Ihrem Titelgewinn vor 28 Jahren dann wieder möglich?

Jörg Roßkopf: Nein, eher nicht. Denn jeder kennt inzwischen Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov und weiß, dass beide um den Titel mitspielen. Das Besondere ist einfach nicht so da wie damals. Wenn Timo mit Ma Long etwas erreicht, ist das eine wirklich tolle Sache, aber letztlich rechnen die Leute ja auch damit, auch weil wir ja schon durchaus präsent sind. Bei uns damals hatte keiner damit gerechnet, und der Tischtennis-Sport war in einem Tiefschlaf. Wir haben den Sport erst aufgeweckt.

Hier geht's zum Zeitzeugen der WM 2006 in Bremen, Michael Geiger!

(Interview: Dietmar Kramer)

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