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Kilians Blog: Saisonstart ohne Gefühlsexplosionen

Auf die Unterstützung des jubelnden Publikums kann Kilian Ort zum Saisonstart nicht bauen (©TSV Bad Königshofen)

24.08.2020 - In Bad Königshofen kocht regelmäßig ‚die Bude‘, wenn Heimspiele des TSV auf dem Programm stehen. Die diesjährige Saison soll nun mit dem Rhönderby gegen Fulda beginnen, allerdings unter Ausschluss von Zuschauern - nach jetzigem Stand. Kilian Ort erzählt uns in seinem Blog von dem Start in eine ungewöhnliche Saison, vom Vorbereitungsalltag des Teams und den verschiedenen Vorlieben seiner Kollegen vor dem Wettkampf.

Der Mannschaftskapitän des TSV Bad Königshofen Bastian Steger absolviert gerade die Mittwochnachmittagseinheit. Die dritte Lehrgangswoche der Saisonvorbereitung läuft - das Trikot klatschnass, das Gesicht bereits von Müdigkeit gezeichnet. Zwei Tische weiter wirft mir Wan Guohui ganz entspannt die Bälle ein. Allzu schnell darf es heute nicht sein. Vor zwei Tagen wurden mir die Weisheitszähne gezogen und der Oralchirurg empfiehl mir trotz gutem Heilungsverlauf „mit dem Sport langsam zu machen“. Da wird der vorläufige Spielplan der TTBL veröffentlicht. Ich lese: „Saarbrücken vs. Ochsenhauen, Bad Königshofen vs. Fulda“ – alles andere interessiert mich vorerst nicht. „Basti, 6. September, Heimspiel gegen Fulda“. Der fokussierte Blick des gebürtigen Oberpfälzers weicht einem breiten Grinsen. „Ohhhhhh Derby…Kili, da könnten wir doch vorher ein kleines Trainingslager in Bad Königshofen machen“. Dieses Angebot musste er mir nicht zweimal unterbreiten, weshalb ich nach dem Ende der Einheit die Shakehands-Arena reservieren ließ. Basti setzte sich unverzüglich mit unseren Mannschaftskollegen Abdel-Kader Salifou und Filip Zeljko in Verbindung, die sofort ihre Daumen nach oben reckten. Somit stand einer knappen Woche im Grabfeld nichts mehr im Wege.  

Weiter Weg zum Heimspiel

Die Vorbereitung auf ein TTBL-Spiel sieht wahrscheinlich bei jedem Bundesligaklub etwas anders aus. Da ich bisher bei nur einem einzigen Verein gespielt habe, kann ich nur schildern, wie es beim TSV Bad Königshofen abläuft. Unser Kader besteht mit dem bereits erwähnten Bastian Steger, dem Kroaten Filip Zeljko, dem Franzosen Abdel-Kader Salifou und mir aus vier Akteuren, die alle nicht in Bad Königshofen trainieren, sondern sich im Normalfall erst zwei Tage vor dem Match nach Unterfranken begeben. Dass alle Spieler auch in ihren Vereinen trainieren, ist anders als vor 25 Jahren nicht mehr selbstverständlich und so besitzen nur knapp die Hälfte aller momentanen Erstligisten eine eigene Trainingsgruppe, in der sich ihr gesamtes Bundesligastammpersonal - auch regelmäßig unter der Woche - auf die Partie am Wochenende vorbereitet. In Bad Königshofen scheitert dies in allererster Linie daran, dass unsere Shakehands Arena an den Werktagen bis fünf Uhr nachmittags für den Schulsport genutzt wird und sich der neu eingerichtete Shakehands Club eher für intensive Balleimersessions als für Spin-Spin-Rallys à la Bastian Steger eignet. 

Basti und ich trainieren aufgrund der Top-Bedingungen im Düsseldorfer DTTZ, Filip absolviert den Großteil seiner Einheiten in seiner Heimatstadt Zagreb und Abdel hat sich vor einigen Jahren der Saarbrücker Trainingsgruppe angeschlossen. Wer topographische Grundkenntnisse besitzt oder auch Google Maps bedienen kann, wird erkennen, dass sich da jährlich einige Kilometer im Auto summieren, um ins Frankenland zu kommen. Während Basti, Abdel und ich ca. vier Stunden Anreisezeit haben, nimmt Filip tatsächlich den ganzen Weg von Zagreb über Slowenien und Österreich in seinem Hyundai auf sich. Das sind alles in allem fast 800 km oder wie Filip sagen würde: „Von Zagreb nach Bad Königshofen - genau eine Tankfüllung“. 

Vorbereitung am Bildschirm

Im Gepäck haben wir neben Schläger, Schuhen und Kleidung unseres Ausrüsters Andro auch schon die Analysevideos unserer möglichen Gegner, die TSV-Trainer Koji Itagaki in mühevoller Kleinstarbeit zusammenschneidet. Dabei fragt er auch oft uns Spieler, ob wir spezielle Wünsche haben. Für mich macht es beispielsweise wenig Sinn, mir ausschließlich Partien meines kommenden Widersachers gegen Linkshänder anzuschauen. Deshalb bitte ich unseren Headcoach häufig, mir, wenn möglich, Spiele meines Kontrahenten gegen Ovidiu Ionescu zu schicken, da der amtierende Vize-Europameister zum einen Rechtshänder ist und zum anderen ähnlich vorhandorientiert agiert, wie ich es tue – nur besser. 

Allgemein lässt sich sagen, dass der Großteil der Profis die Videoplattform YouTube zur Spielvorbereitung nutzt, auch wenn es Ausnahmen, wie zum Beispiel Kirill Gerassimenko gibt. Vom Kasachen in Diensten Werder Bremens habe ich gehört, dass er sich nichts anschaut, um „frisch ins Spiel zu gehen.“ Sicherlich darf man sich nicht zu sehr auf eine Taktik „versteifen“, besonders wenn das analysierte Match schon einige Zeit zurückliegt und einen der Gegner mit neuen Spielzügen oder verbesserten Schwachpunkten überrascht. Dennoch vertrete ich die Meinung, dass es nicht schaden kann, sich spezielle Schemata des Kontrahenten einzuprägen und speziell das Verhalten in knappen Spielständen unter die Lupe zu nehmen. Selbstverständlich wird der genaue „Matchplan“ - wie es ja nun oft so schön heißt – mit dem Trainer kurz vor der Partie noch detaillierter besprochen, wobei auch darauf zu achten ist, in welcher körperlichen Verfassung man sich selbst am Spieltag befindet.

Individuelle Vorzüge direkt vor dem Wettkampf

Anders als bei einer Anreise am Freitag werden wir diesmal größere Umfänge fahren als wir das normalerweise in der Shakehands Arena tun, da wir schlichtweg früher in Bad Königshofen eintreffen werden. Nichtsdestotrotz wird in der Regel am Tag vor der Partie nur noch am Feinschliff gearbeitet und die Beinarbeitsübungen weichen den Aufschlag-Rückschlag-Sequenzen. Wer wann und wie viel trainiert, ist alters- und typabhängig. Der eine macht am Samstag eine lockere Einheit und nimmt den Schläger erst wieder gegen 13 Uhr am Spieltag aus der Tasche, den anderen zieht es samstags doch zweimal in die Halle und auch ein lockeres Warm-Up sonntagsmorgens hört sich für so manchen „Tischtennis-Arbeiter“ vielversprechend an. Auch unmittelbar vor dem Wettkampf hat nahezu jeder Athlet seine Eigenheiten. Während dem einen egal ist, was er vor dem Spiel isst, muss es für den anderen unbedingt eine Mahlzeit beim Italiener sein; während sich der eine nur kurz warmschlägt, nutzt der andere die volle Einspielzeit; während der eine vor dem Match alleine sein will, sucht der andere die Nähe seiner Mitspieler. 

So wurde mir erzählt, dass einem ehemaligen erfolgreichen Bundesligaakteur immer ein Teamkollege in die Kabine folgte, da dort noch mal alle möglichen Szenarien durchgegangen werden mussten, um mit einem guten Gefühl in die Box zu steigen. Dabei ging es teilweise um Details, die manch anderen völlig egal sind, wie zum Beispiel, ob man nach gewonnenem Münzwurf Aufschlag oder Rückschlag wählen oder ob man mit einem langen oder kurzen Aufschlag in den ersten Satz starten sollte. Bei mir ist es so, dass ich aufgrund erhöhter Spannung am Spieltag pingeliger werde, was die Organisation betrifft. Wenn einer meiner Teamkollegen etwa zu spät zum Einspielen kommt, reagiere ich darauf angespannter, als wenn dasselbe am Tag zuvor passieren würde. Da mir dies bewusst ist, weise ich mittlerweile neue Teamkameraden vor der ersten gemeinsamen Partie darauf hin, dass sie es nicht persönlich nehmen sollen, wenn sie von mir mal einen strengen Blick kassieren. Verwundert war beim Saisonauftakt der vergangenen Saison Mizuki Oikawa, als er an Position drei gegen den Griechen Ioannis Sgouropoulos antrat und seinen Teamkameraden Steger auf der eigenen Bank vermisste. Unseren Capitano, der beim aktuellen Spielsystem häufig zwei Einzel bestreitet und so bei einem Heimspiel das erste und vierte Match absolviert, sieht man häufig schon zu Beginn der dritten Partie nicht mehr in der Halle – nicht um ein extrem langes Erwärmungsprogramm abzuspulen, sondern um sich mental auf das Duell der Einser einzustellen, wofür er die Ruhe der Umkleidekabine bevorzugt. 

Leere Ränge beim Rhönderby

Zurück zum „Rhönderby“ gegen Fulda: Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesligisten wurde es uns – „vorbehaltlich unveränderter gesetzlicher Voraussetzungen“ – untersagt, Zuschauer zum Saisonauftakt einzulassen, obwohl sich im gesamten Landkreis Rhön-Grabfeld keine einzige Person in den letzten sieben Tagen mit dem Corona-Virus infiziert hat (Stand 22.8. 0:00Uhr/Quelle: Dashboard RKI). Während in Düsseldorf immerhin 300 Anhänger der Partie gegen Grenzau beiwohnen dürfen, werden wir höchstwahrscheinlich vor leeren Rängen in der sonst so gut besuchten Shakehands Arena auflaufen. Dass dies den Verein finanziell trifft, ist offensichtlich. Bei uns haben die Spieler auf Teile ihres Gehalts verzichtet, damit der TSV das für die TTBL notwendige Gesamtbudget stemmen kann. 

Es wurde von Klubseite mit null Zuschauern kalkuliert, um möglichst ohne Risiken in die neue Spielzeit zu gehen. Doch würden sich unsere Funktionäre sicher besser fühlen, wenn sie den Spielern mit „zusätzlichen“ Einnahmen etwas zurückzahlen könnten. Zudem wird uns als Mannschaft die fehlende Unterstützung von den Rängen besonders hart treffen. Wir haben nicht nur den zweitbesten Zuschauerschnitt der gesamten Liga – lediglich die Borussia aus Düsseldorf hat mehr – sondern können uns dem enthusiastischen Support unseres Fanclubs „Ping-Pong Ultras“ sowie vieler anderer treuen Anhängern stets sicher sein. So wurde die Stimmung schon von einigen Gästespielern mit den Worten „puuuh…bei euch ist es echt laut“ beschrieben. Dass wir dabei unsere Heimspiele in einer vergleichsweisen großen Halle austragen, wertet die Bad Königshöfer Atmosphäre weiter auf, und dass die Entscheidung unseres Landratsamts zu keinen Jubelarien unter den TSV-Sympathisanten führt, dürfte logisch sein. Doch würde ich momentan auch ungern in der Haut der Politiker stecken, die derartige und noch deutlich einschneidendere Entscheidungen für die Gesellschaft verantworten müssen. 

Keine Gefühlsexplosionen der Kulisse

Bevor ich mich in Kürze noch über die Düsseldorfer Kommunalwahl informiere, möchte ich zum Ende dieses Artikels noch sagen, dass es ohne Zuschauer sicherlich anders sein wird. Nachteile wird die Auswärtsmannschaft vor leeren Tribünen sicher nicht haben und wer einmal vor „voller Hütte“ in Bad Königshofen gespielt hat, wird die Gefühlsexplosionen der Kulisse nicht mehr missen wollen. Nichtsdestotrotz sind wir alle Profis genug, um auch mit dieser neuen Situation umgehen zu können und um zu wissen, dass Jammern grundsätzlich selten zum Erfolg führt.

Stattdessen werden auch wir beim TSV positiv nach vorne blicken und uns sehnlichst wünschen, dass Bastian Steger am Abend des 6. September ein ähnlich breites Grinsen auf den Lippen haben wird wie bei der Bekanntgabe des Spielplans. 

Einen schönen, erfolgreichen und gesunden Saisonstart an alle!

Euer Kilian

(Kilian Ort)

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