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Der Phasendrescher – Turnier-Edition: Das Einspielen

Das Einspielen ist für viele eine entscheidende Phase (©Laven)

22.03.2021 - Nach den typischen Phasen eines Tischtennisspiels, einer Saison und einer Amateurkarriere ist unser ‚Phasendrescher‘ Philipp Hell nun bereits bei der vierten Serie seines beliebten Blogs angelangt und beleuchtet typische Abschnitte eines Tischtennisturniers. In der ersten Folge vor einigen Wochen drehte sich alles um die Anfahrt zum Turnier, die mittlerweile bewältigt ist. Diesmal geht es um einen andere entscheidende Phase: Das Einspielen.

Das Wohl und Wehe eines jeden Turniertages hängt – das weiß nun wirklich jeder Nicht-Noppenspieler – hauptsächlich ab von der Qualität des Einspielens. Folglich legt der ambitionierte Turnierspieler Jürgen hohen Wert auf eine frühzeitige Anreise, schnelles Umziehen und ausdauerndes Warmspielen an der Platte, lange bevor das Turnier überhaupt beginnt.

Reist Jürgen zu zweit zu einem Turnier an, ist die Frage des Partners zum Einspielen natürlich automatisch beantwortet. Denn selbstverständlich hat er sich einen passenden Partner mitgenommen und nicht irgendeinen Blinden aus der sechsten Mannschaft, schließlich muss man beim Topspin-Topspin-Üben ordentlich ins Schwitzen kommen, um anschließend ein erfolgreiches Turnier spielen zu können. Nun gilt es also lediglich mit Adleraugen nach einem freiwerdenden Tisch zu suchen, Schläger, Bälle, Getränk und Handtuch bereit zu halten, sich bei eindeutigen Anzeichen sofort auf den direkten Weg zum freiwerdenden Tisch zu machen, im Notfall bei anderen nahenden Interessenten auch unerwartete Sprintqualitäten aufzupacken, beim Sprung über die Bande nicht hängen zu bleiben und nicht zu stürzen (sonst ist der Tag schneller vorbei als man „Bänderdehnung“ sagen kann) und schließlich souverän sein Handtuch als eindeutiges Reservierungszeichen über das Tischgestänge zu hängen, ähnlich wie sonst nur bei Strandliegen auf Mallorca.

Was, wenn man alleine angereist ist?
Komplizierter gestaltet es sich, wenn Jürgen alleine auf ein Turnier gefahren ist. Nun gilt es nämlich, den richtigen Partner erst noch zu finden. Vermutlich kennt er einige Spieler schon von zahlreichen anderen Turnieren und kann sie folglich recht gut einschätzen. Vielleicht hat er am Vorabend bereits mit Hans-Dieter per Textnachricht ausgemacht, sich miteinander einzuspielen. Doch nun lässt dieser auch 75 Minuten vor Turnierbeginn noch auf sich warten. Was soll Jürgen tun? Etwa noch auf unbestimmte Zeit warten und wertvolle Minuten vergeuden? Oder sich sofort Ewald als zweite Wahl schnappen, um sich wenigstens so lange wie möglich einspielen zu können, wenn auch nicht auf genauso hohem Niveau? Das könnte jedoch dazu führen, dass Hans-Dieter (der vermutlich in der Halle erscheint sobald der erste Ballwechsel mit Ewald begonnen hat) beim nächsten Mal beleidigt ist und nicht mehr zur Verfügung steht. Kann er stattdessen mit Ewald einfach abbrechen und auf seine Vereinbarung mit Hans-Dieter verweisen, sobald dieser auftaucht? Dann dürfte Ewald wiederum für die nächsten Monate kaum mehr zu Verfügung stehen. Knifflig!

Ist Jürgen tatsächlich einmal zu einem Turnier gefahren, auf dem er niemanden (oder zumindest nicht näher) kennt, so gibt es zwar keine zwischenmenschlichen Dinge zu beachten, dafür steht er nun vor dem diffizilen Problem, einen spielerisch passenden Partner zum Warmspielen zu finden – und dies allein aus optischen Erwägungen. Auf gar keinen Fall darf es sich nämlich um einen ahnungslosen Anfänger handeln, mit dem lediglich zwei Ballwechsel zu Stande kommen. Jürgens geschultes Auge scannt also die Turnhalle: Der sich seit einer Viertelstunde dehnende Athlet? Angeber. Der Typ mit dem Schweißband? Auf gar keinen Fall! Der ältere Herr mit dem Wohlstandbauch? Hat seinen Schläger noch nicht ausgepackt, könnte Material drauf sein. Der schräge Vogel, der ganz vertieft Paulo Coelhos „Der Alchimist“ liest? Eine spielerisch vermutlich unkonventionelle Nervensäge, der eh keinen Partner sucht. Also doch lieber der auf seinem Handy herumdaddelnde Jungspund mit den Pickeln im Gesicht? Der ist mit seinem Vater und nicht mit seinem Coach gekommen, spricht nicht für einen Überflieger. Der stark aussehende Asiate? Prügelt Jürgen vermutlich direkt von der Platte, das bringt also auch nichts. Ach je, schwierig heute.

Ein guter Griff?
Plötzlich entdeckt Jürgen doch noch ein bekanntes Gesicht, Johnny mit dem pinken personalisierten Trikot steuert direkt strahlend auf ihn zu. Da Johnny bekanntermaßen Kontern nicht von Unterschnitt unterscheiden kann und sich trotzdem jedes Mal maßlos ärgert, wenn er wieder nicht die K.-o.-Runde erreicht hat, zieht Jürgen flugs den „Toiletten-Joker“ und verdrückt sich für zehn Minuten in die Umkleiden. Bei seiner Rückkehr in die Halle ist gerade direkt vor ihm ein Tisch freigeworden und er wird von einem sportlich aussehenden und recht professionell gekleideten jungen Mann angequatscht. Jürgen vertraut schnell entschieden auf seine Instinkte, packt seinen Schläger und klettert mit dem sportlichen Kerl in die Box. Umgehend wird Jürgen nun in ein launiges Gespräch verwickelt, in dem ihm „Noa ohne h“ berichtet, dass er erst am Samstag wieder im örtlichen Freibad seinen besten Freund „Nathan mit h“ mit 21:7 klar „geschneidert“ habe, woraufhin ihn ein freundlicher Rentner ansprach, ob er nicht mal im Tischtennis-Training vorbeischauen wolle. Das habe er am Dienstag gemacht, ja und dann habe „Noa ohne h“ eben auch noch von diesem Turnier hier erfahren und sei kurz entschlossen am Samstagmorgen aufgestanden, weil die Tennissaison derzeit eh pausiert und hier sei er nun eben. 

Auch seine neue Freundin, „Nathan mit h“, dessen neue Freundin und beinahe alle, die ihn kennen, seien heute hier (kurzes Winken zur Tribüne, von der ein vielstimmiges und sehr lautes „No-a, No-a!“ zurückschallt), weil natürlich alle darauf hofften und eigentlich sogar davon ausgingen, dass er, „Noa ohne h“, Tennis-Stadtmeister 2018, auch hier und heute etwas Großes vollbringen werde. Ob Jürgen denn schon länger „im Verein und so“ Tischtennis spiele oder auch nur gelegentlich im Freibad?

Jürgen, dessen Beitrittserklärung zu seinem Tischtennisverein definitiv länger zurückliegt als die Geburt des jungen Mannes, verbringt die Dreiviertelstunde bis Turnierbeginn damit, entweder „Noa ohne h“ beim Versuch zu beobachten, keinen Aufschlag sondern eine „Angabe“ über das Netz zu bringen, oder einfach nur damit, den Ball mal wieder aufzuheben.

Über den weiteren Turnierverlauf hat Jürgen mit sich selbst Stillschweigen vereinbart.

Zur ersten Phase "Die Anfahrt"

(Philipp Hell)

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