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Lennarts Blog: Rosige europäische Zukunft

Die 15-jährige Annett Kaufmann (Mitte) ist die jüngste Siegerin in der Geschichte der U21-EM (©ETTU)

16.11.2021 - Mit großer Spannung hat unser Blogger Lennart Wehking vorige Woche die U21-Europameisterschaften in Spa verfolgt. Wo anders erhält man schließlich bessere Hinweise darauf, welche Talente unser Kontinent in Zukunft zu bieten hat? Wie Wehking in seinem Blog erzählt, war er sehr angetan von dem, was er sah - vor allem von einer jungen Schwäbin, deren Leistungskurve ihm schon fast unwirklich erscheint: Annett Kaufmann.

Spannende Matches, hochklassige Ballwechsel und etliche Überraschungen – bei der U21-EM in Spa präsentierte sich fünf Tage lang die europäische Nachwuchselite. Weil währenddessen die internationale WTT-Tour für zwei Wochen in Slowenien gastierte, kurz zuvor die Gruppen der Champions League ausgespielt wurden und die Individualweltmeisterschaft in den USA immer näher rückt, hatte das Event – wie schon in den Jahren zuvor – medial einen schweren Stand. Ich finde das extrem schade, denn bei kaum einem anderen Turnier können die kontinentalen Trends und Entwicklungen der Zukunft unseres Sports so intensiv und kompakt beobachtet werden. Immerhin: Die ETTU bemühte sich redlich, die Stars von morgen auf den eigenen Kanälen in den Fokus zu rücken. Kostenloser Livestream nonstop, viele authentische Interviews direkt nach den Begegnungen. Und alle Möglichkeiten für eine intensive Betrachtung der Finalbegegnungen im Nachgang auf der Verbands-Homepage. Das kann ich nur empfehlen! Ein detaillierter Blick auf die Konkurrenzen lohnt sich, denn nach der monatelangen Corona-Phase ist bei den kommenden Generationen Bewegung im Spiel. 

U21 als Zwischenschritt der Jungprofis 

Bis zur Wiedereinführung der U21-EM im Jahre 2017 musste die Jugend-EM, traditionell als Saisonhöhepunkt im Sommer stattfindend, herhalten für den Zukunftscheck. Titelträger bei den U18 (jetzt U19)-Wettkämpfen arbeiteten sich nicht selten auch im Erwachsenenbereich rasant in die europäische, manchmal gar in die Weltspitze vor. Seitdem wieder europäische Champions im U21-Bereich gekürt werden, ist ein noch besserer Indikator im ständigen Wettkampfkalender für die spannende Frage implementiert, wer den Sprung in die Elite der ausgewachsenen Tischtennis-Stars schaffen könnte oder schon geschafft hat.

Und der Titel hat unter den Aktiven durchaus eine hohe Wertigkeit. Das verrät der Blick auf die hochkarätigen Felder der Teilnehmenden. Neben dem deutschen Team schickten auch andere erfolgreiche Tischtennisnationen wie Frankreich, Russland, Polen oder Belgien ihre besten Jungprofis ins Rennen. Ist die U19-EM eine Art Eintrittskarte in den Profizirkus, streiten die Talente in den nächsten drei Jahren um Position und Marktwert in der Manege. Eine Analyse der Veranstaltung in Belgien ist also mehr als ein kurzer Blick in die Glaskugel – neben den direkten Duellen der meist durchaus schon exponierten Spieler und Spielerinnen Europas dieser Altersklasse interessiert mich vor allem die Frage, wer sich auf der Überholspur befindet und den Sprung in die Top 25 der Weltbestenliste avisieren könnte. 

Europas neues Juwel kommt aus dem Ländle

Vor einem Jahr stand der Damenwettbewerb ganz im Zeichen von Prithika Pavade. Die mittlerweile 17-jährige Französin startete in Spa nicht die Mission Titelverteidigung, mischte dafür das Contender Turnier in Slowenien mächtig auf, wo sie im Mixedwettbewerb bis ins Finale vorstoßen konnte. Mit der Sensations-Siegerin Annett Kaufmann spielte sich dieses Mal ein noch jüngeres Talent ins Rampenlicht und holte Gold im Einzel. Die Deutsche, die bei der Mannschafts-EM ihr Debut in der A-Nationalmannschaft feierte, setzte ihre mittlerweile fast schon unwirklich erscheinende Leistungsentwicklung der letzten Monate fort. Die erst 15-jährige Linkshänderin agierte mit druckvollem Powerplay nah am Tisch, glänzte auch mit einem extrem starken Passivspiel. Eine hohe Variabilität im Spinspiel, kluge Platzierungswechsel und ein unbändiger Wille in den knappen Situationen bescherten der aktuellen Schülereuropameisterin den bis dato sicherlich größten Einzeltriumph gegen eine um Jahre ältere Konkurrenz.

Wohin der Weg führen kann, hängt bei einem solchen Ausnahmetalent sicherlich von mehreren Faktoren ab; ihr spielerisches Potential überzeugt mich aber so sehr, dass ich ihr zutraue, zukünftig auch die asiatischen Topspielerinnen herauszufordern. Neben Annett Kaufmann holte mit Franziska Schreiner eine weitere deutsche Spielerin eine Medaille. Wenngleich die Profispielerin aus der Düsseldorfer Profi-Gruppe im Schatten ihrer Kollegin aus der Nationalmannschaft agierte: Der dritte Platz ist ein wichtiger Erfolg für die akribisch arbeitende Schreiner, die Schritt für Schritt ihren Aufstieg in den Profibereich erlebt. Mit Pavade und Kaufmann haben die zwei größten Hoffnungen Europas die U21-Veranstaltung geprägt und können mit ihren Erfolgen vielleicht eine neue Generation junger Europäerinnen anführen und inspirieren, die schon in Paris, spätestens aber in LA bei den Olympischen Spielen für Furore sorgen könnte. 

Russlands Trio hat Konkurrenz

Bei den Herren war ich maximal gespannt auf den Auftritt der jungen Russen, die sich nach dem Silber-Triumph in der Mannschaft bei der Erwachsenen-EM nun mit der gleichaltrigen Konkurrenz messen mussten. Natürlich drückte das Trio Grebnev, Sidorenko und Katsman der Veranstaltung ihren Stempel auf (Silber und Bronze im Einzel, Bronze im Doppel), dennoch zeigen die Meisterschaften: Europa hat noch mehr junge Wilde, die nach vorne drängen, die Russen sind noch nicht enteilt. So konnte mit Ioannis Sgouropoulus der griechische Titelverteidiger erneut brillieren und Gold gewinnen. Auch er stammt aus der Neu-Ulmer Talentschmiede, in der auch die drei Russen eine tolle Entwicklung genommen haben. Mit einer deutlich verbesserten Athletik, einer höheren, tischnäheren Dynamik und vielen taktischen Finessen hat er mich überzeugt. Arbeitet er weiter so hart an sich, wird der Durchbruch bei den Erwachsenen schon bald folgen.

Stark verbessert und mit deutlich mehr Power in den ersten Angriffsbällen wusste auch der für Mühlhausen in der TTBL startende Irvin Bertrand zu überzeugen. In Abwesenheit der Lebrun-Brüder, die zeitgleich für Sensationen in Serie beim Contender-Herrenturnier in Slowenien sorgten und das Tableau sicherlich durcheinander gewürfelt hätten, konnte mit dem Franzosen ein Mitglied der Ochsenhausener Talentschmiede sein Potential nachweisen und sich bis ins Halbfinale vorkämpfen. Die polnischen Hoffnungsträger Maciej Kubik und Samuel Kulczycki aus dem Ochsenhausener Bundesligateam konnten der Veranstaltung nicht so sehr ihren Stempel aufdrücken, wie sie sich sicherlich vorgenommen hatten – beide können aber noch zwei Jahre in dieser Altersklasse starten. Und die deutschen Starter? Dranbleiben und festbeißen an den Besten Europas lautet die Devise! Fanbo Meng spielte sich unter die letzten Acht vor und agierte auf Augenhöhe mit den besten Akteuren. Auch Cedric Meissner wusste bei seinem Einzug unter die letzten 16 des Kontinents zu überzeugen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die deutschen Talente oft eher jenseits der 20 zu den größten Sprüngen ansetzen. Wer den Weg eines Dang Qiu oder Benne Duda einschlagen wird, kann wohl erst in zwei, drei Jahren beantwortet werden. Mit Truls Möregardh und Kay Stumper fehlten zwei Hochkaräter der jungen Generation – beide hätte ich ebenfalls im Viertelfinale erwartet. 

Die U21-Europameisterschaften haben gezeigt, welche Spielerinnen und Spieler die ersten Jahre im Profitum nutzen konnten, um sich und ihr Spiel weiterzuentwickeln. Mir ist nach dieser Veranstaltung nicht bange um das europäische Tischtennis. Die junge Generation ist technisch sehr gut ausgebildet, setzt neue Trends im Aufschlag-Rückschlagspiel und wirkt hungrig und fleißig. Vielleicht greifen einige der Youngsters schon bei den Olympischen Spielen in Paris nach den Sternen?!

(Lennart Wehking)

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