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Dietmars Blog: Zeit des Stühlerückens

Seine Zeit als ITTF-Chef geht zu Ende, doch beim DOSB winken neue Möglichkeiten für Thomas Weikert (©ITTF)

11.10.2021 - In einigen großen Verbänden stehen in den nächsten Wochen wichtige Personalentscheidungen auf dem Programm - mit Bedeutung auch für das Tischtennis. Neben dem Deutschen Tischtennis-Bund und dem Tischtennis-Weltverband sucht auch der Deutsche Olympische Sportbund gerade einen neuen Anführer - wofür ITTF-Chef Thomas Weikert vorgeschlagen wurde. Unser Blogger Dietmar Kramer hat sich Gedanken über die Entwicklungen auf der sportpolitischen Ebene gemacht.

In den großen Verbänden hat die Zeit des großen Stühlerückens begonnen. Beim Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB), beim Weltverband ITTF oder auch beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) etwa stehen bis zum Jahreswechsel aus unterschiedlichen Gründen Wechsel auf der Kommandobrücke auf dem Programm. Nicht überall aber verlaufen die Stabübergaben so geräuschlos wie voraussichtlich beim DTTB: In der ITTF beispielsweise führten ein teilweise schmutziger Machtkampf und diverse Intrigen zum Verzicht von Thomas Weikert auf eine weitere Amtszeit als Präsident. Welches sportpolitische Ansehen der frühere DTTB-Chef indes tatsächlich genießt, machte zuletzt seine Ausrufung zum Kandidaten von mehreren großen Fachverbänden für die Nachfolge des nach unglücklichen Jahren und ebenfalls mit viel Getöse abtretenden DOSB-Bosses Alfons Hörmann überaus deutlich.

Weikert nächster Tischtennis-Kandidat für eine Top-Position

Auch wenn die Einigung wichtiger Dachorganisationen im deutschen Sport – unter anderem der Leichtathletik-Verband und der Schwimm-Verband als Vertreter olympischer Kernsportarten – auf Weikert als Wunschkandidaten noch längst keine Vorentscheidung für die DOSB-Präsidentschaftswahl Anfang Dezember bedeuten muss, wirft seine ausdrückliche Nennung als geeigneter Anwärter einmal mehr ein bezeichnendes Schlaglicht auf die offenkundige Fähigkeiten von Tischtennis-Funktionären auf dem sportpolitischen Parkett auch außerhalb ihres ursprünglichen Terrains. Schon einmal galt ein DTTB-Spitzenmann für das wichtigste Amt im deutschen Sport sogar geradezu prädestiniert: Hans Wilhelm Gäb sollte zu Beginn der 90er Jahre beim damaligen Nationalen Olympischen Komitee (NOK) für Deutschland den langjährigen Präsidenten Willi Daume beerben, ehe eine schwere Erkrankung seinen Aufstieg vom DTTB-Präsidenten (und auch Chef des Europa-Verbandes ETTU) an die Spitze des deutschen Sports verhinderte. Nach seiner Genesung allerdings machte Gäb als Vorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe das Sozialwerk des deutschen Sports in den Nuller-Jahren fit für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts. Maßgeblich trieb „HWG“ beinahe zur gleichen Zeit nicht zuletzt auch für seinen Sport die Errichtung des Deutschen Tischtennis-Zentrums (DTTZ) voran, bewirkte die Förderung des Projektes in Millionenhöhe durch öffentliche Gelder und machte damit die Keimzelle von Deutschlands Aufstieg zu Europas Nummer eins erst möglich.

Weikert könnte gewissermaßen in die Fußstapfen seines Mentors treten und die Linie von DTTB-Vertretern in exponierten Positionen im „großen Sport“ fortsetzen. Schon als DTTB-Präsident und auch noch nach seinem Wechsel zur ITTF hatte sich der Jurist - abgesehen von der Ausarbeitung und Umsetzung von Zukunftsstrategien - auch immer wieder fundiert an sportpolitischen Diskussionen beteiligt und auch schon zu dieser Zeit Fehlentwicklungen im deutschen Sport moniert. Auch durch diese „wichtigen Akzente“ erfülle Weikert, so seine Unterstützer, wesentliche Anforderungen an das Profil des DOSB-Präsidenten.

Saive, Xu, Samsonov und Ryu schon auf sportpolitischem Parkett

Augenfällig ist die wiederkehrende Besetzung von Spitzenpositionen in großen Sport-Organisationen durch Persönlichkeiten aus dem Tischtennis allemal. Erst zuletzt wurde in Belgien Jean-Michel Saive, als Spieler in den 90er Jahren Europameister und Weltranglistenerster, zum Präsidenten des nationalen Olympia-Komitees gewählt. Ryu Seung Min, südkoreanischer Olympiasieger von 2004, gehört bereits seit einiger Zeit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) an. Altstars der nachfolgenden Generationen wie der Belarusse Vladimir Samsonov oder jüngst auch der Chinese Xu Xin haben durch ihre Wahlen zu Vizepräsidenten ihrer jeweiligen Kontinental-Verbände ebenfalls eine sportpolitische Laufbahn eingeschlagen und dürften mittelfristig auch weitergehende Ambitionen entwickeln.

Bemerkenswert sind auch die sich abzeichnenden Top-Personalien beim DTTB und bei der ITTF. Claudia Herweg dürfte nach ihrer Nominierung durch die fünf größten Landesverbände für die Nachfolge von DTTB-Präsident Michael Geiger als erste Frau an der Spitze ein Stück Geschichte in der Verbandshistorie schreiben. Die Ausrufung der Kölnerin bedeutet zudem insofern eine Zäsur, dass die Besetzung des Präsidenten-Amtes voraussichtlich nicht auf Vorschlag aus dem Verbandspräsidium erfolgen wird.

Herwegs DTTB-Kandidatur passt in die Zeit

Die Auswirkungen auf die künftigen Kräfteverhältnisse innerhalb der DTTB-Strukturen müssen abgewartet werden. Herweg als DTTB-Präsidentin würde natürlich in die Zeit passen, Frauen drängen auch im Sport immer stärker in den Vordergrund, wobei weiterhin die Frage nach grundsätzlicher Eignung ein wichtigeres Kriterium als das Geschlecht ist. Die frühere Zweitligaspielerin, die sich seit drei Jahrzehnten hauptamtlich in der Tischtennisszene bewegt, ihre Führungsqualitäten bereits unter Beweis gestellt hat und als Leiterin der ITTF-Equipmentabteilung bestens vernetzt ist, muss sich in dieser Hinsicht allerdings sicher keine Sorgen machen. Generell aber müsste eine Präsidentin an der Spitze eines der erfolgreichsten olympischen Fachverbände in Deutschland in jedem Fall als Zeichen von Modernität angesehen werden, zumal der Anteil weiblicher Mitglieder im DTTB gerade einmal bei rund 20 Prozent liegt.

Welchen Kurs Herweg im Fall ihrer Wahl steuern würde, ist in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt. Da zeichnen sich bei der ITTF schon deutlichere Tendenzen ab: Auch beim Weltverband wird die Schwedin Petra Sörling beim ITTF-Kongress bei den Weltmeisterschaften in der zweiten November-Hälfte in Houston durch ihre Wahl zur ersten Frau auf dem Präsidenten-Stuhl avancieren und damit ebenfalls ein beachtenswertes Signal für Gleichberechtigung setzen. Dass sich die ehemalige Spielerin unter den Männern in der ITTF-Funktionärsriege in eine solch starke Position bringen konnte, dürfte auch an diversen Arrangements mit den Machern der immer noch umstrittenen WTT-Turnierserie liegen. Ohne Rückendeckung starker WTT-Bosse wie des katarischen Direktors Khalil Al-Mohannadi oder des ITTF-Geschäftsführers Steve Dainton (Australien), denen Weikert wegen seiner Kritik an den erkennbaren Mängeln des WTT-Systems in den vergangenen zwei Jahren ein Stachel im Fleisch gewesen war, wäre alleine Sörlings Kandidatur wohl nicht denkbar gewesen. Nach ihrem Amtsantritt, das ist in der Sportpolitik oft üblich, dürfte Sörling sich für die Unterstützung auf ihrem Weg ans ITTF-Ruder erkenntlich zeigen.

(Dietmar Kramer)

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