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Dietmars Blog: Gut für Tokio gerüstet

Nina Mittelham reist 'nur' als Ersatzspielerin nach Tokio (©ITTF)

25.05.2021 - Die Nominierungen der deutschen Aufgebote für die Olympischen Spiele in Tokio entsprachen insgesamt den allgemeinen Erwartungen in der Öffentlichkeit. Auch aus Sicht unseres Bloggers Dietmar Kramer ist gerade einmal von einer einzigen Härtefall-Entscheidung zu sprechen. Unabhängig davon erscheinen die Teams der Bundestrainer Jörg Roßkopf und Jie Schöpp für den Kampf in Nippon um die Medaillen optimal aufgestellt.

Nominierungen für sportliche Großereignisse können so manchen Gesprächsstoff liefern, bergen mitunter auch Konfliktpotenzial oder sogar handfesten Zündstoff. Fußball-Bundestrainer Joachim Löw weiß ein Lied davon zu singen, war der einstige Erfolgscoach in den vergangenen zwei Jahren doch regelrecht von der öffentlichen Diskussion über die Ausmusterung seines Weltmeister-Trios von 2014 mit Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng so lange getrieben worden, bis zumindest Müller und Hummels nun doch für die bevorstehende EM-Endrunde wieder in den Kader der deutschen Nationalmannschaft zurückkehren. Gleichzeitig wartete Löw für seine letzte Mission bei der Zusammenstellung seiner Mannschaft wieder einmal mit „Jokern“ auf, die kaum jemand auf der Rechnung gehabt hatte, und setzte damit noch einmal Akzente für neuerliche Debatten.

Im Tischtennis hingegen ist der Raum für Personaldiskussionen beinahe schon naturgemäß deutlich begrenzter. Entsprechend hatte die Nominierung der beiden deutschen Aufgebote für die bevorstehenden Olympia-Turniere in Tokio nur wenig Spektakuläres, zumal faustdicke Überraschungen à la Löw praktisch gar nicht möglich waren. Bei den Herren stand lediglich ein nur recht kleines Fragezeichen hinter der Besetzung des Ersatzmannes aus einem allerdings vergleichsweise großen Kreis, und bei den Damen stellte in einem faktisch schon feststehenden Quartett auch nur noch die Verteilung der Rollen der Nummer drei und der Ersatzspielerin die einzig offene Frage dar.

Roßkopf konnte praktisch nicht falsch entscheiden

Herren-Coach Jörg Roßkopf befand sich bei seiner Entscheidung für Benedikt Duda als „vierten Mann“ hinter dem unstrittigen Top-Trio mit Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska in einer durchaus komfortablen Position. Völlig falsch nämlich konnte der 52-Jährige bei der Auswahl im Grunde genommen gar nicht liegen, außer für Duda hätte Roßkopf auch für Ruwen Filus, Dang Qiu und auch Ricardo Walther gute bis sogar sehr gute Argumente ins Feld führen können. Dudas letztlich entscheidendes Plus war neben seiner Entwicklung im Einzel vor allem die Beständigkeit im Doppel auf hohem Niveau, die Roßkopfs Team in Tokio für den Fall der Fälle gut brauchen könnte. Diese strategische, in Nippon womöglich auch entscheidende Option für den Kampf um die vierte Medaille für ein deutsches Herren-Team bei Olympischen Spielen nacheinander hatte bei der Abwägung sämtlicher zu berücksichtigenden Aspekte das größte Gewicht. So schwerwiegend, dass Filus, Qiu und Walther schlimmstenfalls naturgemäß enttäuscht, aber tatsächlich keineswegs unzufrieden sein können.

Ein solches Gefühl wäre Nina Mittelham hingegen durchaus zuzugestehen. Die Nominierung von Shan Xiaona als Nummer drei hinter Petrissa Solja und Han Ying statt der deutschen Meisterin kann bestenfalls an marginalen Nuancen, möglicherweise aber noch viel mehr an einem intuitiven Bauchgefühl von Jie Schöpp gehangen haben, das verantwortliche Trainer auch mit gutem Recht für sich beanspruchen dürfen. Nachdem beide Kontrahentinnen in der Weltrangliste stetig nach oben auf ein momentan vergleichbares Niveau geklettert waren und wiederholt ansehnliche Erfolge vorzuweisen hatten, ließ auch Schöpp sich bei der abschließenden Zusammenstellung ihres Tokio-Teams von Shans Stärken im Doppel leiten, wie die Bundestrainerin mitteilen ließ. Das allerdings dürfte der früheren Abwehrstrategin kaum so leicht gefallen sein wie Roßkopf, denn immerhin darf Mittelham für sich als amtierende Europameisterin im Doppel ebenfalls hochwertige Qualität beanspruchen. Doch zur Qual der Wahl gehören im Sport nach einer Entscheidung auch immer Gewinner und Verlierer.

Altersfrage würde Leistungsgedanken entwerten

Mittelhams womöglich größter Trumpf blieb dabei unberücksichtigt: Die Altersfrage hätte sicherlich auch ein Kriterium sein können (war sie vielleicht auch), und nach dem Vorzug für die 38 Jahre alte Shan gegenüber der gleich 14 Jahre jüngeren Mittelham lässt sich über die Gewichtung dieses Faktors fraglos trefflich streiten. Eine Olympia-Nominierung letztlich aber anhand des Alters vorzunehmen, würde der Sache alleine jedoch auch nicht gerecht.

Mittelham und besonders Qiu können sich mit der – zumindest von Schöpp auch schon angedeuteten - Aussicht auf die Teilnahme an künftigen Olympia-Turnieren trösten. Die Zukunft im Zeichen der Ringe gehört auch diesen beiden, womöglich schon 2024 in Paris. Für 2021 in Tokio allerdings lautet das Motto „Keine Experimente“. Beide Mannschaften stellen schlagkräftige Teams dar, die durchaus ihren jeweils dritten Platz in der Weltrangliste in Japans Hauptstadt bestätigen können. Gute und erfolgversprechende Nominierungen müssen auch nicht immer mit Misstönen und Kritikhageln einhergehen.

(Dietmar Kramer)

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