Buntes

Wann empfiehlt es sich, auf das Abwehrspiel umzusteigen?

Balázs Hutter schaffte es mit seinem Spielstil in die Jungen-Nationalmannschaft (©Steinbrenner)

20.02.2019 - Wann macht es als Jugendtrainer Sinn, einen Spieler zum Abwehrspieler auszubilden? Welche Eigenschaften muss solch ein Spieler mitbringen, sowohl auf körperlicher als auch auf charakterlicher Ebene? Im Rahmen unserer Themenwoche zum Abwehrspiel haben wir uns mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt und mit Stephan Schulte-Kellinghaus, dem Cheftrainer des Westdeutschen Tischtennisverbands, darüber gesprochen.

Wichtige Rollen beim Entschluss, von nun als Abwehrspieler zu agieren, nehmen verschiedene Eigenschaften ein. Zum einen sollte man natürlich Spaß daran haben, sich viel und gerne zu bewegen – denn das müssen Abwehrspieler nun einmal. „Zudem sollte man ein Typ sein, der gerne anders als andere ist, ein Individualist eben. Schließlich sieht das Trainingsprogramm eines Abwehrspielers andere Dinge vor als das von Angriffsspielern. Das sollte einen nicht vom Weg abbringen“, erläutert Stephan Schulte-Kellinghaus, der z. B. Balázs Hutter in jungen Jahren dazu riet, von Angriff auf Abwehr umzusteigen.

„Gefühl für den Ball muss der Spieler natürlich auch haben“, überlegt Schulte-Kellinghaus weiter, „und er braucht den ‚Schalk im Nacken’. Heißt: Er muss Freude daran haben, wenn der andere den Ball womöglich in den Himmel setzt.“ Das kann dann passieren, wenn im Spiel zwischendurch z. B. ein leerer Schupfball eingestreut wird. Deshalb sollten Spieler auch eine gewisse Kreativität und strategische Fähigkeiten mitbringen, zwischen Schlägen zu variieren. Als Abwehrspieler habe man schließlich mehr Zeit, bewusste strategische Entscheidungen zu treffen, wohingegen Angriffsspieler durch die kurze Reaktionszeit eher auf ihre Intuition und eingespielte Abläufe angewiesen wären. „Genauso muss man als Abwehrspieler auch ein geduldiger und zum Teil leidensfähiger Typ sein. Denn man muss schwere Phasen überstehen, in denen der Gegner vielleicht auch mal alles trifft. Die Beharrlichkeit, an der eigenen Taktik festzuhalten, ist deshalb ebenso ein wichtiger Punkt.“ 

Entscheidung liegt beim Spieler selbst – Grundlagen müssen gelegt sein
Größte Bedeutung im Entscheidungsprozess misst Schulte-Kellinghaus allerdings dem Willen des Spielers bei. Möchte dieser überhaupt zum Abwehrspieler ausgebildet werden? Macht ihm dieses Spielsystem Spaß? Das sind die Fragen, die sich der Spieler vorher stellen sollte. Natürlich spielt auch das Alter eine Rolle. Bei einer durchschnittlichen Begabung gebe es keine feste Grenze, wann der Umstieg spätestens erfolgen solle, findet der WTTV-Cheftrainer. „Bei stark überdurchschnittlichem Niveau aber sollte das Ganze vor dem 12. oder 13. Lebensjahr passieren, will der Spieler es vielleicht mal in die Top 10 oder Top 20 in Deutschland schaffen. Denn das Abwehrspiel erfordert ein großes Maß an individueller Schulung und Förderung“, so der 48-Jährige. 

Balázs Hutter bekam diese Förderung im WTTV, zunächst durch Schulte-Kellinghaus, später dann durch Dirk Huber. Der mittlerweile 20-jährige Regionalligaspieler schaffte es mit seinem eher klassischen Abwehrspielstil bis in die Jungen-Nationalmannschaft. Vor seinem Umstieg hatte man ihn zwischenzeitlich dagegen sogar als „nicht förderungswürdig“ eingestuft, weil er im Angriff mit der Vorhand keinen ‚festen’ Ball, also keine Durchschlagskraft hatte. Da er sich aber gut bewegte, versuchte man es mit dem Abwehrspiel. Die spielerischen Grundlagen waren bei Hutter damals natürlich schon gelegt, was laut Schulte-Kellinghaus auch enorm wichtig ist.  

„Man macht keinen Anfänger zum Abwehrspieler. Denn die technische Grundausbildung ist viel umfangreicher. Auch das Angriffsspiel ist Bestandteil der Schulung.“ Man müsse sich bei der Findung des Spielstils fragen, ob man weiter weg vom Tisch abwehren wolle oder doch so nah, dass der Abwehrball die direkte Vorbereitung auf den Angriffsball sei. Damit ginge die Frage nach dem richtigen Material einher. Häufig erfolge die Umstellung auf eine lange Noppe. Eine kurze Noppe sei dann ratsam, wenn man auch vorne abwehren oder am Tisch blocken wolle. „Unter dem Strich kann man sagen, dass zwei Abwehrspieler nie miteinander vergleichbar sind“, erklärt Schulte-Kellinghaus. 

„Würde das Abwehrspiel nicht totsagen“
Viele Trainer hätten Bedenken und nicht den Mut, ihre Schützlinge umzuschulen, weiß der WTTV-Cheftrainer aus Erfahrung. „Die denken sich: Der Spieler verliert am Anfang erst einmal viele Partien. Wenn derjenige aber schon ein paar Abwehrbälle auf den Tisch bringen kann, ist eher das Gegenteil der Fall. Denn die Gegner in diesem Alter haben ja gar keine große Erfahrung gegen Abwehr. So kann man schnell erfolgreich werden. Auch wenn die Anforderungen an Abwehrspieler heutzutage natürlich gestiegen sind“, so der 48-Jährige weiter. Denn der Tischtennissport sei nun mal schneller und athletischer geworden. Auch Regel- oder Materialänderungen, wie z. B. der Plastikball, würden die Sache nicht einfacher machen. Heutzutage müsse man den Ball als Abwehrspieler früher treffen, eher mal einen halben Meter näher am Tisch verteidigen, um dem Angreifer weniger Zeit zu lassen. 

„Es gibt viele, die sagen, dass das Abwehrspiel keine Zukunft hat. Aber vielleicht liegt genau darin die Chance. Denn wenn kaum jemand Abwehr spielt, hat auch kaum jemand große Erfahrung im Spiel gegen Abwehr“, meint Schulte-Kellinghaus, der zu Schülerzeiten selbst Abwehrer war. Schon damals habe man Abwehrspieler als aussterbende Spezies angesehen. „Ob man damit heutzutage noch Olympiasieger werden kann, weiß ich nicht. Ich würde mich dieser Haltung aber grundsätzlich nicht anschließen.“ Wer als Abwehrer vielleicht besser werden könne als als Angreifer, solle den Schritt ruhig wagen. Einen guten Angreifer hingegen solle man nicht versuchen, umzuformen. Erst recht nicht, nur um einen Abwehrspieler in der Trainingsgruppe zu haben...

(DK)

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