Buntes

Historie: Von Marathonmatches zum postmodernen Abwehrer

Die Abwehrlegende Eberhard Schöler ist bis heute der einzige Deutsche mit WM-Silber im Einzel (©Borussia Düsseldorf)

20.02.2019 - Das Abwehrspiel mag heute im Leistungsbereich unseres Sports eine Randerscheinung sein. In den Anfängen der Tischtennisgeschichte waren defensive Spielsysteme jedoch der vorherrschende Stil. Im Rahmen unserer Abwehrwoche versuchen wir uns mithilfe des Experten Gunter Straub an einem Überblick der Hochs und Tiefs dieser Spielweise, nehmen Sie mit auf die Reise vom Halbflugball bis zur modernen Abwehr und schauen uns an, welche Auswirkungen diverse Regeländerungen hatten.

Knallharte Topspins gegen knallharte Topspins - so sieht der Tischtennissport im Leistungsbereich heutzutage fast überall aus. In den Anfangsjahren unserer Sportart war das anders. Damals beherrschten defensive Spielsysteme die Szene. Wie aber kam es, dass das Abwehrspiel innerhalb des vergangenen Jahrhunderts dermaßen an Bedeutung verlor? Sicher ist, dass es auch schon im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts defensivere und offensivere Spieler gab. Der beliebteste Schlag war laut dem Journalisten Gunter Straub, der sich 2012 und 2013 intensiv mit der Geschichte des Abwehrspiels im ‚Trainerbrief‘ des Verbands Deutscher Tischtennistrainer beschäftigte, der ‚Halbflugball‘. Bei diesem Schlag wird der Ball früh angenommen, fliegt niedrig über das Netz und tropft schließlich in Netznähe vom Schläger ab, der zu dieser Zeit oft ohne oder aber mit dünnen Belägen aus Kork, Sandpapier und auch Noppen aus Gummi gespielt wurde. Die ersten Weltmeister der Sportart Tischtennis Mitte der 1920er Jahre, wie Maria Mednyanski, Roland Jacobi und Zoltan Mechlovits setzten auf eine variantenreiche Mischung aus defensiven und offensiven Schlägen.

Abwehrschlachten über sieben Stunden

Die Abwehr aus ferneren Distanzen weit hinter dem Tisch fand Ende der 1920er Jahre, unter anderem durch den legendären Victor Barna, Einzug in den Sport. In dieser Ära, die zu dieser Zeit eine kleine Revolution darstellte und bis zum Beginn der 1950er Jahre reicht, verlor der Halbflugball an Bedeutung und manche Spieler stellten ihre offensiven Bemühungen komplett ein. Wenn zwei solcher rein defensiven Spieler aufeinandertrafen, konnte ein Spiel auch einmal mehrere Stunden dauern. Gunter Straub erzählt in seinem dreiteiligen historischen Abriss von wahren Marathonspielen wie der Partie zwischen dem Franzosen Michel Haguenauer und Vasile Goldberger-Marin aus Rumänien bei der WM 1936. Nach sieben Stunden Abwehr gegen Abwehr wurde der Sieger schließlich per Münzwurf ermittelt. Auf diese langatmige ‚Nebenwirkung‘ des defensiven Stils reagierte der Weltverband kurz darauf mit einer Verringerung der Netzhöhe von 17,14 auf 15,25 cm und mit der ersten Zeitbeschränkung in der Geschichte des Tischtennissports: Ein Spiel mit drei Gewinnsätzen durfte ab 1937 maximal eine Stunde und 45 Minuten dauern. Die heute gültige Wechselmethode wurde 1966 eingeführt. 

Nachdem sich in den 30er und 40er Jahren neue Schlagarten wie zum Beispiel die Ballonabwehr oder der geschnittene Treibschlag ausdifferenziert hatten, dominierten nach dem zweiten Weltkrieg bewegliche und sichere Abwehrspieler mit Unterschnittabwehr oder kurzer Verteidigung die Turniere. Eine Zäsur stellten die 50er Jahre dar, als japanische Spieler plötzlich mit dicken Schwammgummis in den Hallen auftauchten. Diese ‚Belagneuheit‘ ermöglichte ein schnelleres Spiel - zudem wurde das Auftreffgeräusch des Balles auf dem Schläger verschluckt. So war der Engländer Johnny Leach 1951 der letzte vornehmlich defensive Mann, der Weltmeister im Einzel wurde, bevor sich die offensiven Japaner in den Vordergrund spielten. Bei den Damen kam die Ablösung der Abwehrerinnen durch ihre angriffslustigeren Gegnerinnen an der Weltspitze deutlich später: Die letzte defensive Einzel-Weltmeisterin ist Tong Ling aus China, die den Titel 1981 gewann.

Unerklärliche Fehler durch Langnoppe

Das reine Schwammgummi wurde 1959 zwar abgeschafft - und bis heute muss auf dem Schwamm entweder ein Noppen-innen- oder -außen-Belag kleben. Nichtsdestotrotz wurde dadurch die Entwicklung immer neuer, vor allem offensiver Techniken angestoßen. So zeigten 1960 die Japaner auch zum ersten Mal einen neuen Schlag, bei dem der Ball tangential gestreift und ihm dadurch eine Vorwärtsrotation mitgegeben wurde. Damals nannte man ihn noch „Loop“, später entwickelte sich daraus der heutige „Topspin“. Damit mussten sich die Abwehrspieler erst einmal arrangieren. Allerdings ergaben sich in den 60er Jahren auch für sie im Materialbereich neue Möglichkeiten. Viele Abwehrer griffen nun zu zwei griffigen Noppen-innen-Belägen oder klebten sich auf eine Seite einen Noppen-außen- oder auch Antibelag. Die erste Langnoppe wurde 1960 vom chinesischen Penholder-Abwehrer Zhang „der Magier“ Xielin eingesetzt, der seine Gegner damit zu unerklärlichen Fehlern trieb. Der defensive Deutsche Eberhard Schöler überwältigte ihn im WM-Viertelfinale 1965 nach einem äußerst spannenden Kampf trotzdem - mit 27:25 im Entscheidungssatz. Vier Jahre später schrammte die deutsche Abwehrlegende schließlich knapp am Titel vorbei und ist bis heute der einzige Deutsche mit WM-Silber im Einzel.

Mitte der 70er Jahre wurden die langen Noppen international immer populärer. Viele Abwehrer spielten nun zwei unterschiedliche Beläge derselben Farbe und drehten den Schläger, so dass ihre Gegner nicht erkennen konnten, ob der jeweilige Schlag mit dem Rückhand- oder Vorhandbelag ausgeführt wurde. Die Steigerung kam noch, als später beim Auftreffen des Balles auf dem Schläger mit dem Fuß aufgestampft wurde, damit der Gegner durch das Geräusch keine Rückschlüsse auf den benutzten Belag ziehen konnte. Dieser Problematik wurde 1984 mit der Zwei-Farben-Regelung und dem Verbot des Aufstampfens beim Aufschlag entgegengewirkt, was den Antibelag aus dem Topsport vertrieb. Insgesamt nutzten die besten Abwehrspieler der Welt in den 70er Jahren immer öfter auch Angriffsschläge, um die Ballwechsel zu ihren Gunsten abzuschließen. Ein prominentes Beispiel für dieses offensivere Abwehrspiel stellte der Chinese Liang Geliang dar, der aus politischen Zwängen eine Zeit lang als reiner Angriffsspieler auftreten musste, später aber zum Abwehrspiel zurückkehrte. Erfolgreich war er mit beiden Stilen: Liang sammelte in seiner Karriere sechs Weltmeistertitel.

Über die Entwicklung von den 80er Jahren bis heute lesen Sie auf Seite zwei!

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