WM 2017

Expertentalk mit Saive: „Bin nicht derselbe wie vorher“

Jean-Michel Saive hatte bei dieser WM wenig Gelegenheit, in der Halle vorbeizuschauen (©Fabig)

05.07.2017 - 90 Stimmen waren ein gutes Ergebnis, haben aber nicht ausgereicht. Jean-Michel Saive musste bei der Wahl des ITTF-Präsidenten seinem Konkurrenten Thomas Weikert gratulieren. Im Expertentalk erzählt er uns nicht nur von seinen Eindrücken dieser WM, sondern auch davon, als wie fair er den Wahlkampf empfunden hat, wo er bei der WM 2017 in seiner besten Form gelandet wäre und was nun seine nächsten Pläne sind.

myTischtennis.de: Die Wahl des ITTF-Präsidenten ist nun ein paar Tage her. Wie fühlst du dich inzwischen?

Jean-Michel Saive: Es war eine komische Woche für mich, weil ich zwei Wahlen hatte - zum einen die Wahl des ITTF-Präsidenten, zum anderen des belgischen olympischen Komitees. Ich bin also hin und her gefahren. Die ITTF-Wahl war sehr knapp und ich denke, ich kann sehr stolz auf mein Ergebnis sein. Denn wenn man als ITTF-Externer antritt und nicht deren Unterstützung bekommt, hat man es sehr schwer. Ich wusste also von Anfang an, dass der Kampf nicht ganz gleichberechtigt sein würde. Aber trotzdem 90 Stimmen zu bekommen, ist ein großer Erfolg.

myTischtennis.de: Wie hart es, Kandidat für die Wahl des ITTF-Präsidenten zu sein?

Jean-Michel Saive: Es war ein langer Weg. Ich bin ein Jahr lang auf allen Kontinenten unterwegs gewesen, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Es war sehr interessant, von ihren Nöten, Schwierigkeiten und Verbesserungswünschen zu erfahren. Ich bin sicherlich nicht dieselbe Person wie vor einem Jahr. Ich habe eine Menge über Tischtennis, den inneren und äußeren Themen, gelernt. Natürlich viel über Politik. Ich bin sehr stolz auf das, was ich gemacht habe, und denke, ich konnte die Dynamik innerhalb der ITTF ein wenig aufmischen. Das habe ich vor allem in den Monaten gemerkt, nachdem ich meine Kandidatur erklärt hatte. In den letzten drei Monaten wurde ich auf allen ITTF-Webseiten dann komplett ignoriert. Die Kandidaten wurden meines Erachtens da nicht gleich behandelt, die Aufmerksamkeit war nicht vergleichbar. Das ist ein wenig schade, aber ich kann es nicht ändern. Ich finde, dass die ITTF-Seite neutral in solchen Angelegenheiten sein sollte, aber es war, wie es war. Ich habe meinen Job gemacht, habe eine gute Rede vor dem AGM gehalten, für die ich viel Lob bekommen habe, und ich hoffe, dass man die guten Ideen mitnimmt und Tischtennis in Zukunft ein wenig besser wird.

myTischtennis.de: Kannst du die WM denn nun wenigstens noch ein bisschen als Zuschauer genießen oder hast du noch andere Aufgaben hier zu erledigen?

Jean-Michel Saive: Ich war zwei Tage wegen der Wahl des nationalen olympischen Komitees in Belgien, in das ich mit der höchstmöglichen Anzahl an Stimmen gewählt wurde. Vorgestern habe ich dann die Halle hier zum ersten Mal betreten, vorher hatte ich keine Zeit dazu. Jetzt kann ich die Spiele noch ein wenig genießen.

myTischtennis.de: Du hast eine Menge Weltmeisterschaften in deiner Karriere erlebt. Wie bewertest du die WM in Düsseldorf?

Jean-Michel Saive: Ich hatte überhaupt keinen Zweifel daran, dass man diese Veranstaltung in Deutschland sehr gut organisieren würde. Meine erste WM hier war 1989 in Dortmund und die war schon fantastisch. Deutschland ist es gewohnt, große Events zu organisieren, deshalb bin ich nicht überrascht. Die Präsentation ist sehr modern und locker, es wurde viel Wert auf Licht und Musik gelegt. Und es ist natürlich immer schön, zu sehen, dass die Halle voll ist. In Deutschland ist das bei den großen Events meistens der Fall, hier gibt es einfach viele Tischtennisspieler. Interessant wäre es, herauszufinden, wie viele Nicht-Tischtennisspieler hier sind. Oder ob hier 90-95 % Tischtennis spielen. Das wäre natürlich nichts Schlechtes, aber wir müssen es trotzdem auch schaffen, Leute außerhalb des Tischtennissports zu begeistern. 

myTischtennis.de: Wenn du heutzutage Spieler wärst - aber mit der Form von 1993/1994 -, was glaubst du, wie weit du hier kommen würdest?

Jean-Michel Saive: Das ist sehr schwer zu beantworten, weil es kaum vergleichbar ist. Es sind verschiedene Generationen, die Technik und die Regeln sind anders. Der Aufschlag hat sich verändert, der Ball ist anders, man darf nicht mehr frischkleben, jetzt gibt es den Rückschlag mit der Rückhand-Banane über dem Tisch. Der Spielstil ist nicht mehr derselbe. Es hat sich viel mehr getan, als man denkt. Die Aufschläge konnte man früher nicht so aggressiv annehmen, heutzutage ist das möglich, weil wegen der 40 mm, wegen des Plastikballs und des weggefallenen Frischklebens weniger Spin im Ball ist. Trotzdem ist das Spiel noch sehr, sehr schnell. Das Spiel ist gut so, aber 20 Jahre sind eine lange Zeit, es ist nicht mehr dasselbe.

myTischtennis.de: Du sagtest, dass du noch nicht so viel Zeit in der Halle verbringen konntest. Hast du trotzdem ein persönliches Highlight?

Jean-Michel Saive: Ich habe tatsächlich noch nicht viel gesehen. Timo Boll gegen Marcos Freitas war ein tolles Match, weil ihre Spielstile kombiniert sehr sehenswert sind. Ich habe mir Xu Xin gegen Lin Gaoyuan angesehen und Xus Aufholjagd, als er mit 5:10 im siebten Satz hinten lag. Und dann ist natürlich Tomokazu Harimoto zu nennen, den ich hier aber noch nicht selbst gesehen habe. Mit 13 Jahren im Viertelfinale zu stehen, ist einfach verrückt. Tischtennis ist einfach so: Man kann einen 13- und einen Ü40-Jährigen im Viertelfinale haben und trotzdem ist das Spiel schnell und technisch hochwertig. Das ist ein Grund, warum unser Sport so großartig ist.

myTischtennis.de: Was sind nun deine Pläne, nachdem du nicht zum ITTF-Präsidenten gewählt worden bist?

Jean-Michel Saive: Ich werde mir jetzt sicher erst mal ein wenig Zeit nehmen, aber ich habe ja auch sonst viele Dinge zu tun. Ich bin Sportdirektor meines Verbands, der mir ein wenig Zeit gegeben hat, um mich auf die ITTF-Wahl zu konzentrieren. Zudem bin ich noch bis Oktober Vorsitzender der europäischen Athletenkommission. Und mal schauen, welche Funktion ich im nationalen olympischen Komitee übernehmen soll. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

Zum Expertentalk mit Blue Badge-Schiedsrichter Lars Czichun!
Zum Expertentalk mit Zoran Primorac!
Zum Expertentalk mit Andreas Preuß
Zum Expertentalk mit Erik Bottroff

(JS)

Kommentar schreiben

Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.

* Pflichtfeld

Copyright © 2024 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.