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Jans Blog: Neu sortierte Weltordnung

Nach seinem großartigen Jahr 2017 begann Dimitrij Ovtcharov dieses Jahr als Weltranglistenerster (©ITTF)

10.12.2018 - Knapp ein Jahr ist es her, dass die ITTF die Weltordnung im Tischtennis mit der Einführung ihres neuen Weltranglistenberechnungssystems durcheinanderwirbelte. Damals übernahm Dimitrij Ovtcharov die Spitze, inzwischen ist Fan Zhendong seit geraumer Zeit der beste Tischtennisspieler der Welt. Aber ist er das wirklich? Wie aussagekräftig ist das Ranking nach einem Jahr? Und hat die ITTF das erreicht, was sie wollte? Jan Lüke gibt in seinem Blog eine Einschätzung.

Bald feiert die neue Weltrangliste Geburtstag. Am 1. Januar 2018 veröffentlichte der Weltverband ITTF erstmals die Weltbestenliste nach veränderter Berechnung. Und für das deutsche Tischtennis begann die neue Zeitrechnung damals mit einer Sternstunde: Dimitrij Ovtcharov eröffnete das Jahr als weltbester Spieler. Na ja, oder zumindest als Nummer eins der Weltrangliste. Denn schnell gab es eine Debatte um die Aussagekraft des überarbeiteten Berechnungssystems, das bei Spielern und Funktionären gleichermaßen Kritik erntete. Was ist die neue Weltrangliste wert? Wo hapert’s noch? Oder war im alten Berechnungsmodus nicht ohnehin alles besser? Nach einer Saison ist es an der Zeit für ein Zwischenzeugnis für die neue Weltrangliste und die Überlegungen, die die ITTF mit ihrer Einführung verbunden hat.

Schnelllebiger und fragiler

Der Weltverband hat mit der Neuregelung vor allem dafür gesorgt, dass die Weltrangliste  schnelllebiger und fragiler geworden ist. Vergleichbar mit dem Berechnungssystem der ATP im Tennis werden fast ausschließlich Resultate berücksichtigt, die Spielerinnen und Spieler in den vergangenen zwölf Monaten erzielt haben. Gute Platzierungen mit entsprechenden Punktgewinnen halten längst nicht mehr so lange vor wie im früheren und sehr viel komplexeren Berechnungssystem. Außerdem fließen weniger Resultate in die Bewertung ein: Die Reihenfolge in der Weltrangliste ergibt sich nur noch aus den jeweils acht Ergebnissen mit den meisten Punkten – alle anderen Resultate werden gestrichen.

Die ITTF hat damit mehrere Ziele im Blick gehabt. Vor allem wollte sie die Teilnahme an ihrer World-Tour-Serie für die Topathleten attraktiver machen. Kritiker formulieren es drastischer: Sie wollte die besten Spielerinnen und Spieler zur regelmäßigen Teilnahme an der World Tour zwingen. Nach wie vor ist die Weltranglistenplatzierung eine harte Währung im Profigeschäft, eine Visitenkarte für Sponsoren und Vereine. Niemand spricht über Bilanzen in nationalen Ligen, wenn er auch Weltrangplätze zu Rate ziehen kann. Das neue System bevorzugt Vielspieler, weil viele Turnierteilnahmen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, gute Resultate zu erzielen, während einzelne schlechte Ergebnisse wiederum nicht mehr ins Gewicht fallen. Zudem müssen nun auch die absoluten Topspieler regelmäßig auf der World Tour aufkreuzen. Selbst wer bei seinen Turnierteilnahmen regelmäßig viele Punkte sammelt, kann es sich nicht erlauben, nur wenige Wettbewerbe zu bestreiten, wenn er ein entsprechendes Ranking anstrebt.

Seltsame Konstellationen

Nach Jahr eins mit der neuen Weltrangliste muss man konstatieren, dass viele dieser Überlegungen der ITTF aufgegangen sind. Die Topspielerinnen und Topspieler tauchen öfter auf der Tour auf. Auch und gerade die Chinesen tingeln mit ihren besten Athleten mittlerweile durch die ganze Welt. Früher wäre das undenkbar gewesen. Außerdem zeigt Jahr eins der neuen Berechnung, dass sich die Vermutung bestätigt hat, dass die Weltrangliste viel stärkeren Veränderungen unterworfen ist als noch früher. Fast in jedem Monat wird die Rangliste kräftig durchgewürfelt – und wirft dabei manch seltsames Ergebnis aus: Zwar ist der vermeintliche beste Spieler der Welt, Fan Zhendong, auch seit geraumer Zeit die Nummer eins des Rankings, dahinter aber findet sich etwa Weltmeister Ma Long nach Verletzungen und Pausen nur auf Platz elf (zur aktuellen Weltrangliste). Während etwa der US-amerikanische Youngster Kanak Jha, Dritter bei den Youth Olympic Games und Zweitligaspieler beim FSV Mainz 05, mittlerweile auf Platz 51 angekommen ist, tummeln sich weiter hinten in den Top 100 einige big names der Szene. Zhang Jike steht hinter Niagol Stoyanov auf Platz 76, Fang Bo auf Rang 82 – vor ihm ist der Brasilianer Eric Jouti einsortiert. Es gäbe wohl wenige Beobachter, die die Kräfteverhältnisse im Welttischtennis in diese Reihenfolge bringen würden. Die neue Weltrangliste tut es.

Das aber muss nicht gleichbedeutend sein mit einer Kritik am neuen Weltranglistensystem: Das world ranking erfüllt mittlerweile mehr die Funktion einer Weltbestenliste. Wer hat in einem vergleichbaren und aktuellen Zeitraum die besten Resultate abgeliefert? Daran muss man sich gewöhnen. Aber eine Debatte darüber, welches System besser, weil aussagekräftiger ist, ist eine Geschmacksfrage. Es müsste mir erst einmal jemand beweisen, dass ein anderes System valider ist. Und dass Ma Long derzeit nicht der nur elftbeste Spieler des Planeten ist. Weltranglisten können immer nur eine reduzierte Zusammenfassung sein. Die ITTF hat sich aus ihren Gründen dazu entschieden, auf ein anderes Werkzeug zurückzugreifen als früher – und ist mit diesem Werkzeug erfolgreich.

Das Beispiel Ovtcharov

Nach wie vor aber bleibt ein großer Kritikpunkt am neuen System. Was bei aller Aufwertung der World Tour und ihrer Bedeutung für die Weltrangliste weiterhin fehlt, sind gerechte Preisgelder. Die ITTF zwingt die Aktiven mit einer neuen Weltranglistenbewertung auf die Turnierbühne – sie ist aber nicht bereit, die Tour durch eine gerechte Bezahlung für die Spieler attraktiv zu machen. Die Kritik ist nicht neu, aber sie wird wachsen, wenn die Spielerinnen und Spieler merken, dass der Weltverband mit seinem System erfolgreich ist.

Für die Zuschauer weltweit bietet die neue Weltrangliste dagegen hohen Unterhaltungswert und Raum für Expertenstreits. Nach wie vor ist das Ranking von Dimitrij Ovtcharov dafür ein spannender Anlass. War Ovtcharov im Januar und nach einem überragenden Turnierjahr 2017 noch der große Profiteur der neuen Berechnung, geht es für ihn mittlerweile bergab. Das Jahr 2018 war bei Ovtcharov geprägt von Verletzungen und einer anschließenden Formkrise. Im Dezember-Ranking ist er auf Platz neun zurückgefallen. Zur nächsten Berechnung verliert er außerdem 2295 Punkte für den zweiten Platz bei den World Tour Grand Finals im vergangenen Dezember in Astana – Ovtcharovs höchste Wertung überhaupt. Dann könnte der Olympiamedaillengewinner von 2012 aus den Top Ten der Weltrangliste fallen und sogar von seinem Nationalmannschaftskollegen Patrick Franziska überholt werden. Was ist Dimitrij Ovtcharov – die Nummer eins der Welt oder die Nummer drei in Deutschland? Die neue Weltrangliste schwankt zwischen beiden Antworten. Die Diskussion ist eröffnet! 

(Jan Lüke)

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