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Jans Blog: Nett gedacht, schlecht gemacht

Ruwen Filus und Han Ying freuen sich über ihren EM-Titel. In Tokio 2020 werden sie aber wohl eher nicht zusammen spielen (©Gohlke)

01.10.2018 - Dank der Aufnahme des Mixed-Doppels in das olympische Programm erlebt diese bislang etwas stiefmütterlich behandelte Tischtennisdisziplin zurzeit einen Aufschwung. So wird inzwischen nicht nur bei Welt-, sondern auch Europameisterschaften sowie ein paar World-Tour-Turnieren Mixed gespielt. Doch was ist, wenn wahrscheinlich weder die amtierenden Welt- noch Europameister bei den Olympischen Spielen antreten werden? Darüber denkt Jan Lüke diesmal in seinem Blog nach.

Hinter Ruwen Filus liegen abwechslungsreiche Tage. So bekam der 30 Jahre alte Abwehrspieler von Bundestrainer Jörg Roßkopf die Nachricht überbracht, dass er bei den Europameisterschaften in Alicante kein Einzel spielen werde. Filus wurde lediglich für Starts im Doppel und im Mixed nominiert. Für einen Spieler, der in der Weltrangliste derzeit auf Platz 19 geführt wird, im Einzel wohlbemerkt, muss sich das wie ein Trostpflaster angefühlt haben. Keine zwei Wochen später hat Filus mit der Entscheidung des Bundestrainers sicherlich besser leben können. Denn der TTBL-Spieler aus Fulda und seine Nationalmannschaftskollegin Han Ying gewannen den ersten EM-Titel im Mixed in der Geschichte des deutschen Tischtennis (zum Video) seit 1978. Und Filus selbst wurde erstmals Europameister.

Revival einer Disziplin

Es ist noch nicht lange her, da galt das gemischte Doppel als aussterbende Disziplin. Wo man den Wettbewerb auch aus dem Programm nehmen konnte, machten Verbände davon Gebrauch: Der DTTB strich das Mixed bei seinen nationalen Meisterschaften, 2007 gab es letztmals Deutsche Meister bei den Erwachsenen. Auch bei den Europameisterschaften wurde das Frauen-Männer-Doppel ausgegliedert. Ab 2009 war es nicht mehr Bestandteil der EM-Turniere. Die Mixed-Europameister wurden seither bei einem separaten Wettbewerb ermittelt, der international allenfalls zweitklassig besetzt war. Auf World-Tour-Turnieren, auf denen schon das gleichgeschlechtliche Doppel eine untergeordnete Rolle spielt, wurde die Disziplin ohnehin nicht ausgetragen. Das Mixed war – erst recht in Zeiten von wachsendem Termindruck auf die Profispieler – auf dem besten Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Dann kam der 9. Juni 2017. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) gab seinerzeit bekannt, das Tischtennis-Mixed als Wettbewerb bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio aufzunehmen. Dann wird nicht nur erstmals in der Olympia-Geschichte Tischtennis-Mixed gespielt, sondern erstmals auch ein fünfter Medaillensatz im Tischtennis vergeben. Schon in den Jahren zuvor hatten sich die Olympia-Verantwortlichen mit dem Gedanken beschäftigt, das Mixed aufzunehmen. Und ihr Go im vergangenen Jahr wertete die vom Aussterben bedrohte Disziplin plötzlich auf. Über Nacht wurde das Mixed so bedeutsam wie nie zuvor. Seitdem hat sich vieles getan. Schon 2016 wurde das Mixed wieder an die EM der Individualwettbewerbe angedockt. Mittlerweile findet es sich auch auf ausgewählten World-Tour-Events. 2019 in Wetzlar kehrt das Mixed zu den Deutschen Meisterschaften zurück. Spielerinnen und Spieler, aber vor allem auch ihre Verbände, bringen sich allmählich in Position: Sie sehen eine unverhoffte Chance, 2020 bei den Olympischen Spielen von Tokio um Medaillen und vordere Platzierungen spielen zu können. Denn auf den ersten Blick erscheint der Weg zum Edelmetall im Mixed so kurz wie in keiner der anderen vier Tischtennis-Disziplinen. Fast alle Nationen starten bei null, das Rennen ist offen.

Keine zusätzlichen Plätze für Olympia-Duos

Doch noch herrscht Durcheinander in der Mixed-Welt. Auch mehr als ein Jahr nach der Entscheidung des IOC und keine zwei Jahre vor den Spielen in Tokio hat sich das Mixed als Disziplin noch längst nicht gefunden – sowohl auf sportlicher als auch auf organisatorischer Ebene. Ein Beispiel dafür liefern ausgerechnet die neuen Europameister aus Deutschland: „Natürlich denkt man nach einem solchen Erfolg auch mal kurz an Tokio 2020“, sagte Ruwen Filus nach dem EM-Triumph. Entscheidend aber werde sein, „wer sich für die Mannschaft qualifiziert, denn darauf liegt natürlich der Fokus“.

Zwar mag sich mit den beiden Defensivspezialisten Filus und Han ein gemischtes Doppel gefunden haben, dass gut harmoniert. Das bedeutet aber nicht, dass das Erfolgsduo mittelfristig eine sportliche Perspektive besitzt. Ein Grund liegt im von Filus angesprochenen Nominierungsprozedere für Olympische Spiele: Zwar hat das IOC das Tischtennis-Mixed als Disziplin aufgenommen, für den neuen Wettbewerb aber keine zusätzlichen Quotenplätze geschaffen. Deutschland wird – wie bei den vergangenen Olympischen Spielen auch – jeweils drei Starterinnen und Starter nominieren können. Die spielen dann allerdings nicht nur im Einzel und in der Mannschaft, sondern möglicherweise auch im Mixed. Auf einen Platz im deutschen Olympia-Kader aber hat Filus – Stand heute – nur Außenseiterchancen. Er wäre aber Voraussetzung für einen Start im Mixed.

Olympia-Premiere ohne Welt- und Europameister?

Ein Opfer dieser Regularien könnten auch die amtierenden Mixed-Weltmeister werden: Maharu Yoshimura und Kasumi Ishikawa gewannen im vergangenen Jahr zwar auf spektakuläre Art und Weise in Düsseldorf den WM-Titel (zum Video). Vor allem Yoshimura wird sich aber kaum Hoffnung machen dürfen, im Olympia-Kader der überragend besetzten japanischen Männer zu stehen. Ausgerechnet das japanische Weltmeister-Duo wird beim Heimspiel 2020 in Tokio mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu sehen sein. Die großen Tischtennisnationen wie Deutschland und Japan, natürlich aber auch China, werden ihr Augenmerk nach wie vor auf die Einzel- und Mannschaftswettbewerbe legen. Warum sollten sie es auch anders machen? Ihre guten Medaillenchancen in den etablierten Wettbewerben werden sie nicht durch das Mixed gefährden wollen. Wenn es das IOC hingegen ernst meint mit einem sportlich hochwertigen Mixed-Wettbewerb bei Olympia, muss es eigene Quotenplätze für das Mixed ausloben.

Auch an anderen Stelle bringt die vermeintliche Aufwertung des Mixeds immense Herausforderungen mit sich: Paarungen können sich nur dann einspielen, wenn Frauen und Männer regelmäßig die Möglichkeit haben, gemeinsam zu trainieren und bei Turnieren zu starten. Bei der Vielzahl an Verpflichtungen, denen die Akteure schon heute nachkommen müssen, wird es jedoch kaum möglich sein, das angemessen zu berücksichtigen. Das Mixed wird für viele Aktive ein Zufallsprodukt bleiben. Nett gedacht, schlecht gemacht. Zwar liegt der Schluss nahe, dass sich künftig Spezialisten und feste Kombinationen im sportlich sicherlich reizvollen Mixed bilden werden, die Rahmenbedingungen aber lassen das derzeit kaum zu. Spielerinnen und Spieler aus den Top 20 der Weltrangliste werden das Mixed wohl weiterhin zugunsten des Einzels meiden. Stattdessen werden sich unter den Spezialisten Paarungen wie Lubomir Pistej/Barbora Balazova (Slowakei) oder Stefan Fegerl/Sofia Polcanova (Österreich) finden.

Ruwen Filus und Han Ying werden auf ihren nächsten großen Auftritt derweil vielleicht bis 2020 warten müssen. Dann finden schließlich nicht nur die Olympischen Spiele statt, sondern auch die nächsten Europameisterschaften. 

(Jan Lüke)

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