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Jans Blog: Europas junge Wilde

Ist Vize-Weltmeister und Vize-Europameister der Jungen: Truls Möregårdh (©ITTF)

27.08.2018 - Nicht viele neue Spieler haben sich in Europa in den letzten Jahren in den Vordergrund gespielt. Oft dominierten Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Co. das Geschehen. Dabei steht eine Reihe von vielversprechenden Akteuren mit Blick auf die EM in Alicante (18. bis 23. September) in den Startlöchern. Welche das sind und was man sich von Ihnen erhoffen darf, analyisiert unser freier Redakteur Jan Lüke in seinem Blog.

Das europäische Toptischtennis war im vergangenen Jahrzehnt eine weitestgehend geschlossene Gesellschaft. Bei den Männern machten die immer gleichen Akteure die Topplatzierungen unter sich aus. Die Herausforderer von Ovtcharov oder Boll, Samsonov oder Freitas reichten nicht an die europäische Elite heran, die Titel und Medaillen blieben einigen wenigen vorbehalten. Nur ab und an wurde der illustre Zirkel durch den einen oder anderen Gast erweitert. Eine erste Ausnahme gelang Emmanuel Lebesson bei einer kuriosen EM in Budapest 2016. Ein Aufbruch in neue Zeiten? Vor den 37. Europameisterschaften vom 18. bis 23. September drängt eine neue Generation an jungen Spielern nach vorne, die sich anschickt, die Ordnung unter Europas Besten in den kommenden Jahren durcheinanderzubringen. Zwar wird der Titel auch in diesem Jahr nur über Ovtcharov und Boll oder die zuletzt formstarken Freitas und Liam Pitchford führen, doch ihre Nachfolger laufen sich bereits warm. Das sind vier Spieler aus vier verschiedenen Ländern, die in Alicante für Furore sorgen könnten:

Darko Jorgic
Dass sich Darko Jorgic im deutschen Tischtennis schon einen Namen gemacht hat, hat zwei Gründe: Zum einen hat der 20 Jahre alte Slowene bereits eine überraschend gute erste Saison beim letztjährigen Aufsteiger TSV Bad Königshofen in der TTBL hinter sich, die ihm einen Wechsel zum Topklub 1. FC Saarbrücken TT ermöglichte. Zum anderen ist es Jorgic schon zweimal gelungen, Deutschlands Nummer eins Dimitirj Ovtcharov bei einem großen Turnier zu schlagen. Sowohl bei der Mannschafts-EM 2017 als auch bei der Mannschafts-WM 2018 gewann Jorgic, wenngleich Ovtcharov in beiden Partien angeschlagen an den Tisch ging. Denn trotz großer Siege ist Jorgic noch nicht angekommen unter den allerbesten Spielern Europas. Der Slowene hat mit seiner brachialen Rückhand zwar eine Waffe in seinem Spielsystem, die auch Spieler aus der absoluten Weltelite vor Probleme stellen kann. Doch noch fehlt es ihm gegen die Topathleten an Physis. Seine Beinarbeit bringt ihn gerade auf der VH-Diagonalen immer wieder in Probleme, hier fehlen ihm Konstanz und Stabilität – Betonung auf: noch.

Anders Lind
Anders wer? Es ist erst zwei Jahre her, da spielte der junge Däne beim TV Leiselheim in der 3. Bundesliga. Mittlerweile gehört er zum Kader des TTC Zugbrücke Grenzau in der TTBL. Eine rasante Entwicklung! Ein Däne, noch dazu Linkshänder? Da fühlt man sich zwangsläufig an die Ikone Michael Maze erinnert, die sich derzeit am x-ten und bisher leider erfolglosen Comeback versucht. Doch Lind ist ein anderer Spielertyp als der enorm kreative Maze, der über Rhythmuswechsel, Platzierungen und extreme Rotation punktet. Lind verfügt über ein extrem starkes Aufschlagspiel, was mehr an Pär Gerell aus Dänemarks Nachbarland Schweden erinnert. Doch anders als Gerell, dem für den Durchbruch in die absolute Weltspitze vor allem die Power im Offensivspiel abging, hat Lind das Potenzial, mit schnellen Beinen und druckvoller Vorhand den Tisch abzudecken. Der amtierende dänische Meister hält die Grundlinie, setzt seine Gegner permanent unter Stress – und wie man an Fan Zhendong oder Tomokazu Harimoto erkennen kann, ist das vermutlich die Zukunft des Tischtennis.

Truls Möregårdh
Oder sieht die Zukunft des Tischtennis doch ganz anders aus? Hält sie den Schläger anders, spielt Schupf statt Topspin und Schuss anstatt Topspinblock? Truls Möregårdh ist erst 16 Jahre alt – und gilt, neben Harimoto natürlich, als das spannendste Talent des Welttischtennis. Was nicht nur daran liegt, dass der Schwede mit zweiten Plätzen bei der vergangenen Jugend-WM und Jugend-EM starke Ergebnisse im Nachwuchsbereich einfahren konnte, obwohl er dort noch zu den jüngeren Jahrgängen zählte. Möregårdh sticht auch heraus, weil er extrem ungewöhnlich agiert. Er hält seinen Schläger tief am Griff und weit eingedreht zu einem Rückhand-Griff. Damit spielt der Schwede extreme Winkel und deutlich mehr rotationsarme Schläge wie Konter oder Schüsse als in der Weltspitze üblich. Zudem präsentiert sich Möregårdh trotz seines jungen Alters extrem selbstbewusst, manchmal fast zu lässig am Tisch, sorgt immer wieder für überraschende Momente. Damit erinnert er – und der Vergleich muss an dieser Stelle kommen – natürlich an Jan-Ove Waldner. Waldner gilt als Fan von Möregårdh, der zudem davon profitiert hat, dass der schwedische Verband bekannt dafür ist, Spielern ihre Eigenheiten und ihre Individualität zu lassen – man erinnere an Fabian Akerstrom. Dass sein ungewöhnlicher Spielstil im Toptischtennis der Männer, das zuletzt von einer fast langweiligen Einheitlichkeit geprägt wurde, die Systeme von Topspielern zerstören kann, hat Möregårdh schon mehrfach bewiesen. Er hat bereits einige Top-50-Spieler wie Omar Assar oder Benedikt Duda besiegt. Sein Weg in die Weltspitze scheint vorgezeichnet, doch ob er – wie viele Experten und Laien vermuten – es in kommenden Jahren mit den Topasiaten wird aufnehmen können, wird davon abhängen, ob es Möregårdh gelingt, sich zu stabilisieren und auch in puncto Schlaghärte mit den Besten der Besten mithalten zu können.

Can Akkuzu
Der Weg von Can Akkuzu führt nach oben. Geht man strikt nach der Weltrangliste, ist der junge Franzose noch vor Darko Jorgic, aber auch vor Anton Källberg, Jakob Dyjas oder dem Ex-U-21-Europameister Tomislav Pucar der derzeit beste Spieler aus dem europäischen Nachwuchs. Akkuzu ist dort die Nummer 67 – sein Höchststand! Noch bis vor einem Jahr für den TTC Fortuna Passau in der 2. Bundesliga aktiv, spielt Akkuzu mittlerweile wieder in seiner französischen Heimat beim Champions-League-Klub AS Pontoise Cergy TT. Der Rechtshänder spielt mit beiden Seiten enorm druckvoll. Mit extremer Schlaghärte und Beschleunigung kann er mit seinem Offensivspiel seine Kontrahenten überrollen. Doch fehlt es Akkuzus Spiel an Variation und an Unvorhergesehenem. 

Auffällig ist, dass viele von Europas Toptalenten ihre Ausbildungsjahre nach Deutschland verlegen, um in den Trainingsgruppen in Ochsenhausen, aber auch in Saarbrücken oder Grenzau zu trainieren. Diesen Weg sind Simon Gauzy, Liam Pitchford oder Jakub Dyjas gegangen. Das gilt nicht nur für die oben genannten Jorgic, Lind und Akuzzu, sondern auch für den derzeit verletzten U-21-Europameister Tomaš Polansky aus Tschechien, den Belgier Florent Lambiet (derzeit SV Werder Bremen), den Ungarn Bence Majoros (TSV Bad Königshofen) oder den Weißrussen Aliaksandr Khanin (TTC Jülich). Sie können das Tischtennis in Europa erobern – und vielleicht machen sie in Alicante schon einen Anfang.

(Jan Lüke) 

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