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Dietmars Blog: Schöpps Personalnot eine Chance für Talente?

Während Petrissa Solja aufgrund körperlicher und mentaler Erschöpfung derzeit eine Pause einlegt, ist Sabine Winter nach ihrer Blinddarm-OP im Sommer noch nicht bei 100 % angelangt (©Fabig)

05.12.2017 - Kurz vor dem Wechsel ins Jahr der Mannschafts-WM in Halmstad befinden sich die Teams des DTTB in bemerkenswert unterschiedlichen Situation: Die Herren – Stand heute – als überaus ernsthafter Herausforderer von Dauerchampion China. Die Damen dagegen mit einem ganz großen Fragezeichen hinter der fast kompletten Mannschaft – nach einer Knie-OP in dieser Woche fällt auch noch Chantal Mantz (drei Monate) aus. Unser Blogger Dietmar Kramer schaut sich das Personaltableau von Bundestrainerin Jie Schöpp einmal genauer an.

Jie Schöpp hat in den vergangenen Monaten einen ganz schön schweren Job. Seit längerer Zeit schon haben diverse Verletzungen und Wehwehchen die Vorbereitungspläne der Bundestrainerin für ihre Spielerinnen immer wieder erschwert, wenn nicht gar völlig durchkreuzt. Das war schon vor der Heim-WM im vergangenen Frühjahr in Düsseldorf vor allem durch die Armverletzung von Petrissa Solja so und auch zuletzt noch im Spätsommer vor den Mannschafts-Europameisterschaften in Luxemburg aufgrund von Soljas Ausfall und Sabine Winters Blinddarmoperation wenige Wochen vorher auch.

Gleichwohl hat Schöpp immer wieder eine schlagkräftiges Mannschaft für die Topevents aufbieten können. Zu groß erschien das Reservoir an Spielerinnen, als dass nicht doch irgendwie mit DTTB-Aktiven hätte gerechnet werden müssen. In Düsseldorf hielten Doppel-Europameisterin Kristin Silbereisen (heute Lang) durch den Einzug ins Einzel-Achtelfinale und Solja durch die trotz spürbarer Enttäuschung historische Mixed-Bronzemedaille mit dem Chinesen Fang Bo die DTTB-Fahne hoch. In Luxemburg hätten die Spitzenkräfte Han Ying und Shan Xiaona fast im Alleingang beinahe auch noch wirklich alle Kastanien aus dem Feuer geholt, ehe wenigstens erst im Endspiel Endstation war.

Kinderspiele, möchte man beim Vorausblick auf die in nicht mehr allzu weiter Ferne stattfindenden Mannschafts-Weltmeisterschaften in Halmstad meinen. Für die Titelkämpfe ab Ende April in Schweden dürfte Schöpp bei der Nominierung ihres Kaders angesichts der momentanen Personalsituation eine vielfach schwierigere Aufgabe bevorstehen, die nicht nur auf den ersten Blick geradezu als Quadratur des Kreises erscheint.

Denn wohin der Blick auch fast immer fällt – überall Probleme: Die Asse Han und Shan sind angesichts ihrer chinesischen Wurzeln wegen des immer noch nicht angeglichenen Regelwerks des Weltverbandes ITTF anders als bei Olympia-Turnieren für Halmstad nicht spielberechtigt. Ihre Ausfälle schmerzen zwar wie immer bei WM-Turnieren sehr, sind aber immer schon einzukalkulieren gewesen.

Hinter dem DTTB-Spitzenduo jedoch wird es erheblich komplizierter. Petrissa Solja: Fragezeichen; Kristin Lang: Fragezeichen; Sabine Winter: zuletzt immer noch ein gutes Stück von ihrer gewohnten Form entfernt; Chantal Mantz: Fragezeichen. So vertrackt mutet die Lage im deutschen Damen-Lager an, dass derzeit einzig die jungen EM-Fahrerinnen Nina Mittelham und Yuan Wan für die WM wohl fast schon als gesetzt gelten dürfen oder gar müssen.

Die Einzel-Analyse
Die sicherlich größten Sorgen sind sicherlich in Bezug auf die Petrissa Solja angebracht. Die Wettkampfpause der Berlinerin aufgrund körperlicher und mentaler Erschöpfung ist zunächst bis zum Ende des ausklingenden Jahres avisiert, doch ist eine Verlängerung ihrer Auszeit beileibe nicht ausgeschlossen. Selbst wenn Solja tatsächlich ab Januar wieder das Training aufnehmen und später auch erste Wettkämpfe bestreiten sollte, kommt die WM für die DTTB-Hoffnungsträgerin womöglich noch deutlich zu früh. Ein solcher Rückstand wie nun durch ihre Pause lässt sich auch für eine Solja mal nicht eben mit links ausgleichen.

Kristin Lang hat ihre WM-Teilnahme zwar trotz ihrer Schwangerschaft noch in keinster Weise abgeschrieben. Doch gehört vor einer seriösen Debatte um ihre Nominierung zunächst selbstverständlich abgewartet, wie die deutsche Meisterin die bevorstehende Geburt ihres ersten Kindes verkraftet und danach in ihrer neuen Rolle als Mutter in den Alltag einer Spitzensportlerin zurückfinden kann.

Im grauen Alltag einer Profi-Spielerin sucht unterdessen Sabine Winter ihre frühere Form. Seit der Blinddarm-Operation nach ihrem Sommer-Engagement in der indischen Profiliga kämpft die Doppel-Europameisterin darum, wieder den Anschluss herstellen zu können. Dämpfer oder Rückschläge wie beim Weltcup in Kanada durch das Vorrunden-Aus zehrten offenkundig zusätzlich am wichtigen Selbstvertrauen. Bis Halmstad sollte Winter zwar eher als Solja und wohl auch Lang in eine ansprechende Verfassung kommen können, doch könnte die in Schweden sicherlich auszuübende Aufgabe als Führungsspielerin aufgrund ihrer notwendigen Konzentration auf sich selbst zu schwer sein.

Als eine Wackelkandidatin muss Frankreich-Legionärin Chantal Mantz angesehen werden. Auf anderer Ebene als bei Solja und Lang gilt nach ihrer Knieoperation zu beobachten, wie die WM-Debütantin von Düsseldorf ihre scheinbar unumgängliche Zwangspause verarbeitet und wieder an das vormalige Niveau anknüpfen kann.

Welche Platzierung ist bei der WM realistisch?
Geradezu zwangsläufig drängt sich angesichts des fragilen Personaltableaus auch schon bald die Frage nach der Zielstellung für die DTTB-Damen in Halmstad auf. Eine Wiederholung der Viertelfinalteilnahme von 2016 in Kuala Lumpur, wo Schöpps Spielerinnen die vom Verletzungspech arg gebeutelt gewesenen Herren klar in den Schatten gestellt hatten, dürfte praktisch auszuschließen sein. Auch eine Platzierung unter den besten Zwölf wäre aus heutiger Sicht schon ein beachtliches Ausrufezeichen.

Womöglich bietet die „Zwischen-WM“, deren Ergebnisse für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio anders als Titelkämpfe kurz vor dem Olympia-Turnier nur vergleichsweise begrenzten Stellenwert besitzen, Schöpp aber auch die Gelegenheit, aus der Not eine Tugend zu machen: Wenn in Schweden doch ohnehin keine ernsthafte Standortbestimmung im internationalen Vergleich möglich sein sollte und den Resultaten von Halmstad dadurch geringere Bedeutung beigemessen werden kann, dann wäre doch in letzter Konsequenz ein Projekt „Jugend forscht“ möglicherweise noch die zielführendste Variante. Wo denn, wenn nicht bei einer „echten“ WM, könnten vielversprechende Talente wie Jennie Wolf oder die Bundesliga-Küken Anastasia Bondareva und Sophia Klee mehr über die raue Luft an der Spitze lernen?

Natürlich sollen die Teenager nicht verheizt werden. Entsprechend müsste in ihren Fällen genauestens abgewogen werden zwischen dem Nutzen der in Halmstad zweifellos zu erwerbenden Lerneffekte einerseits und möglichen Überlastungen andererseits. Einen Gedanken aber könnte eine solche Strategie wert sein.

(Dietmar Kramer)

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