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Jans Blog: Ernüchternde Botschaft hinter gemischten Duos

Timo Boll und Ma Long werden auch in Düsseldorf ihr Glück Seite an Seite versuchen (©Stosik)

03.04.2017 - Die gemischt-nationalen Doppel, die wir bei der Heim-WM in Düsseldorf auch in diesem Jahr sehen werden, bringen viele Vorteile mit sich. Dass sich Ma Long mit Timo Boll und Fang Bo mit Petrissa Solja zusammentun werden, ist für unseren freien Redakteur Jan Lüke aber auch ziemlich irritierend. In seinem Blog erläutert er, warum er glaubt, dass China dem sportlichen Erfolg nicht mehr die höchste Priorität beimisst.

Die vergangene Woche war eine gute für den Deutschen Tischtennis-Bund. Eine frohe Kunde erreichte den Bundesverband aus China: Die beste Tischtennisnation der Welt wird zwei seiner Ausnahmespieler deutschen Athleten an die Seite stellen, wenn in wenigen Wochen in Düsseldorf die neuen Weltmeister ermittelt werden. Weltmeister Ma Long wird mit Timo Boll im Herren-Doppel starten, Vize-Weltmeister Fang Bo im Mixed mit Petrissa Solja. Die Geschichte hat viele Gewinner. Und dennoch: Im Kern trägt sie eine ziemlich ernüchternde Botschaft für das Welttischtennis. 

Beste Chancen auf Medaillen

Beginnen wir mit dem Positiven. Deutschland hat für seine Heim-WM nun zwei Medaillenoptionen hinzugewonnen. Denn das sind die neuen Paarungen tatsächlich: Boll und Solja werden mit ihren Nebenmännern in den Düsseldorfer Messehallen zu den Favoriten zählen. Eine Garantie auf Edelmetall gibt es nicht. Die Aussichten aber sind dennoch gut – und sie sind besser, als sie für den DTTB mit deutsch-deutschen Paarungen gewesen wären.

Für Boll hätte es in den eigenen Reihen nur einen geeigneten Kandidaten gegeben, mit dem er vage Medaillenambitionen gehabt hätte: Patrick Franziska. Der aber scheint in dem Dänen Jonathan Groth, mit dem zusammen er das amtierende Europameisterdoppel bildet, ein passendes Pendant gefunden zu haben. Dimitrij Ovtcharov hingegen misst dem Doppel für gewöhnlich wenig Bedeutung bei, noch hat sich die deutsche Nummer eins bisher als ausgewiesener Doppelspezialist präsentiert. Das eine bedingt sicherlich das andere. Das Doppel Ovtcharov/Boll jedenfalls wäre rein sportlich keine sinnhafte Überlegung gewesen, zumal Ovtcharov seinen vollen Fokus auf eine Einzelmedaille legen wird. Nun aber kann der DTTB zwei starke Doppel mit deutscher Beteiligung melden: Boll/Ma und Groth/Franziska. Ähnlich der Fall Solja: Die exzellente Doppelspielerin hätte im Herren-Team kein Gegenstück für das gemischte Doppel gefunden, mit dem sie sich ins Medaillenrennen hätte einschalten können. Gemeinsam mit Fang, einem der weltbesten Spieler, sieht das anders aus.

Alles Friede, Freude, Eierkuchen also?

Die deutsch-chinesischen Paarungen ermöglichen dem deutschen Verband allerdings nicht nur etwaige sportliche Perspektiven, in ihnen steckt auch großes Vermarktungspotenzial. Am Legendary Pair Ma/Boll gab es schon 2015 reges Medieninteresse. In diesem Jahr wird das nicht anders sein. Boll ist das Zugpferd der Veranstaltung. Den besten Tischtennisspieler der deutschen Geschichte Seite an Seite mit dem Weltbesten aus China zu sehen, ist eine Geschichte, die Medien gerne erzählen werden. Dass Ma/Boll und Solja/Fang zudem schon an den ersten Turniertagen an die Tische gehen, wird auch die Frühphase des Turniers noch einmal enorm aufwerten und die Ränge schon vor dem langen Finalwochenende vor Ort füllen. 

Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Nicht ganz. Vielleicht sogar: ganz und gar nicht. Denn schaut man nicht mit der deutschen Brille auf die Ereignisse, dann ist die Botschaft dahinter doch irritierend. China hat mit seiner neuerlichen Entscheidung für gemischt-nationale Doppel beim wichtigsten Turnier des Jahres den sportlichen Wettstreit hinter die Aufmerksamkeit und das Spektakel gestellt. Anders kann man es, wie ich finde, nicht sagen. Dass Ma und Boll ein Doppel bilden, hat keine sportlichen Gründe. Boll ist – vielleicht im Doppel noch mehr als im Einzel – noch immer einer der besten Spieler der Welt. Das hat er mit einer starken Vorstellung an der Seite von Ma Long auch 2015 in Suzhou bewiesen. Trotzdem würde China ihn nicht benötigen, um ein Doppel auf mindestens dem Niveau der Paarung Ma/Boll in den Wettbewerb zu schicken.

Sportlicher Erfolg nicht mehr Priorität Nummer eins

Dem Legendary Pair bietet sich keine Möglichkeit auf gemeinsames Training. Es geht abermals mit einer niedrigen Setzung ins Turnier – wie 2015, als Ma/Boll früh auf Zhang Jike/Xu Xin trafen. Und beide können sich nur eingeschränkt miteinander verständigen. Das alles sind zwar weiche Argumente, die einen Erfolg keineswegs ausschließen – die ihn aber doch unwahrscheinlicher machen. Diesen Risiken müsste sich China nicht aussetzen. Es hat Spieler von der sportlichen Klasse eines Bolls, bei denen es diese Risiken ausschließen könnte. Diese Spieler verfolgen die WM nun in der Heimat vor dem Bildschirm. Ausgerechnet beim bedeutendsten internationalen Wettbewerb der Sportart mindert China aus freien Stücken seine Medaillenausbeute und seine Medaillenchancen.

Warum das? Für den chinesischen Verband ist dieser Tage nicht mehr der maximale sportliche Erfolg von höchster Priorität. Vielmehr geht es um die maximale Aufmerksamkeit. Die garantiert gerade Boll – in Düsseldorf der Lokalmatador und in China ein Superstar. Zudem unterbindet China aus freien Stücken die Monokultur auf den Medaillenrängen, die nach Jahren der exzessiven Erfolge selbst im eigenen Land für eine Sättigung gesorgt haben. Auch die Chinesen vermissen den Wettbewerb auf Augenhöhe – und wenn es den anderen Nationen derzeit nicht gelingt, den Abstand zu verkleinern, dann helfen die Chinesen einfach selbst nach. Daran aber sollten sich die deutschen Spieler und Zuschauer in Düsseldorf am allerwenigsten stören.

(Jan Lüke)

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