Trainingstipp

Mentaltipp: Auch unter Druck gute Leistungen bringen

Auch in schweren Lagen nie vergessen, was gerade am wichtigsten ist: der nächste Ball! (©Fabig)

04.09.2018 - In vielen Verbänden läuft in diesen Wochen die neue Saison an. Und plötzlich steht man nach einer entspannten Sommerpause wieder am Tisch und muss den eigenen Erwartungen, aber auch den Erwartungen der Teamkameraden, gerecht werden. Wie man es schafft, auch unter Druck die Nerven zu bewahren und sich voll auf das zu konzentrieren, was wichtig ist, erzählt Ihnen der sportpsychologische Experte der deutschen Nationalmannschaft, Dr. Christian Zepp, im Mentaltipp.

präsentiert vom Verband Deutscher Tischtennistrainer (VDTT)

Nahezu jeder Spieler kennt dieses Gefühl, wenn vor oder auch während eines Spiels plötzlich die Hände feucht werden, sich die Schmetterlinge im Bauch bemerkbar machen, der Blutdruck und der Puls steigen, oder wenn man das Gefühl hat, noch einmal auf die Toilette gehen zu müssen. Genauso gut kennt fast jeder Spieler die Gedanken, die einem vor einem Spiel durch den Kopf gehen: „Ich muss heute gewinnen!“, „Warum denn gegen diesen Gegner?!“, etc.. Unser Kopf ist mit unzähligen Gedanken und Gefühlen ausgefüllt und beschäftigt, die uns häufig daran hindern, in der Situation unsere beste oder auch nur eine gute Leistung zu bringen. Sobald wir uns in unserem Kopf damit auseinandersetzen, was in der Vergangenheit war („Gegen den Gegner habe ich bisher immer verloren“) oder was in Zukunft sein wird („Wenn ich das Spiel heute gewinne, stehe ich morgen in der nächsten Runde!“) oder wer vielleicht gerade auf der Tribüne sitzt, verlieren wir den Fokus für das, was gerade im Moment wichtig ist: der nächste Ball. In dem Moment, in dem unser Kopf nicht im Hier und Jetzt ist, ist dieser Moment auch schon vergangen – und wir treffen womöglich eine falsche Entscheidung oder machen einen Fehler. Die Aufgabe ist also eigentlich ganz simpel: 100% Konzentration auf das Hier und Jetzt.

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Nur das Jetzt ist entscheidend

Leider ist es sehr viel leichter gesagt als getan, unsere Aufmerksamkeit ausschließlich im aktuellen Moment zu haben und nur darauf Acht zu geben, was gerade um uns herum geschieht. Wenn wir es nun nicht schaffen, unsere Aufmerksamkeit nur darauf auszurichten, was jetzt im Moment wichtig ist (z.B. der nächste eigene Aufschlag), wandern unsere Gedanken umher (z.B. zum letzten Punkt des Gegners), bleiben an einer Stelle hängen (z.B. beim möglichen Ausgang des aktuellen Spiels) und treiben wieder zu einem neuen Gedanken weiter (z.B. der Rangliste im nächsten Monat). Manchmal scheint es auch, dass, wenn wir mit aller Macht versuchen, nur im Hier und Jetzt zu sein („Konzentrier dich endlich!“), uns unsere Gedanken nur noch mehr entgleiten. Wie ein Affe, der sich hoch oben im Baum von Ast zu Ast schwingt und sich gleichzeitig darüber lustig macht, dass ihn niemand eingefangen bekommt. Im Buddhismus, der Lehre, auf der viele Methoden und Strategien der heutigen Verhaltenstherapie basieren, nennt man dieses Gedankenkarussell daher passender Weise auch „monkey mind“. Eine der wichtigsten Methoden, die eigenen Gedanken zu beruhigen, Emotionen zu akzeptieren und sich ausschließlich im Hier und Jetzt zu befinden, ist das Achtsamkeitstraining. Achtsam zu sein, bedeutet dabei, bewusst und ohne Wertung auf all jenes Acht zu geben, was genau in diesem Moment gerade um uns herum geschieht, und es auch genau so wahr- und anzunehmen. Es geht nicht darum, was es bedeutet, dass man vielleicht an Position 3 spielt, was die Zuschauer denken, was es zu Hause nach dem Spiel zu Essen gibt oder was passiert, wenn man das Spiel gewinnt. Es geht nur um diesen einen Moment, in dem man sich jetzt gerade befindet.

Stellen wir uns einen tropischen Wirbelsturm vor. Ganz egal, wie viel Wind, Regen, umherfliegende Teile oder Chaos der Wirbelsturm mit sich bringt: In der Mitte des Sturms ist es ganz ruhig, windstill und man kann sogar den blauen Himmel und die Sonne sehen. Dieses ruhige Auge ist immer und in jedem Wirbelsturm vorhanden. Genauso hat auch jeder Mensch dieses ruhige Auge in sich selbst. Diese ruhige Mitte, in der wir mit Gelassenheit auf jede Situation um uns herum eingehen können und mit ein wenig Abstand bewusst entscheiden können, wie wir uns verhalten wollen. Haben wir diese Mitte noch nicht gefunden, reagieren wir mehr oder weniger spontan, direkt und ohne bewusst nachzudenken auf die Situation. Als Ergebnis spüren wir Druck, Spannung und vielleicht auch eine Art von Stress. Wir bringen nicht mehr unsere beste Leistung. Wir sind so von dem gefangen genommen, was um uns herum geschieht, unserem Gedankenkarussell, unseren Emotionen und unseren körperlichen Reaktionen, dass wir die Verbindung zum Hier und Jetzt verlieren. Anstatt in das Auge des Wirbelsturms zu gehen, wo wir klar denken können sowie bewusste und effiziente Entscheidungen treffen können, begeben wir uns in den eigentlichen Wirbelsturm hinein – und was dort passiert, kennen viele Spieler aus eigener Erfahrung nur zu gut.

Meditation nicht nur für Esoteriker

Wie schafft man es aber nun, im Auge des Wirbelsturms zu sein, gelassen und ruhig auf Situationen einzugehen und die heute bestmögliche Leistung zu bringen? 

Wenn es eine Methode gibt, die dabei hilft, Achtsamkeit zu entwickeln, dann ist es Meditation oder Atementspannung. Viele Menschen sind im ersten Moment häufig abgeschreckt, wenn sie von Meditation lesen oder hören, da für viele mit Meditation immer noch eher Esoterik als Leistungssport in Verbindung gebracht wird. Dabei gibt es mittlerweile unzählige wissenschaftliche Studien die sich mit den Auswirkungen von Meditation und Atementspannung auf den menschlichen Organismus, die Psyche und das Herz auseinandersetzen. Nahezu all diese Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich eine regelmäßige Meditation u.a. positiv auf die Stimmung, die Herzfunktion, die Hormonausschüttung und die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit auswirken kann. Aber nicht nur empirische Studien, sondern besonders auch die praktische Erfahrung in der täglichen Arbeit mit Athleten zeigt, dass der regelmäßige Einsatz von Meditation und Achtsamkeitsübungen positive Effekte in vielen verschiedenen Lebensbereichen sowie im Training und Wettkampf der Athleten haben. Weltweit wurden bereits verschiedene praktische Achtsamkeitsprogramme z.B. zur Reduktion von Stress veröffentlicht. Das wohl bekannteste Trainingsprogramm ist das von Jon Kabat-Zinn an der Universität von Massachusetts entwickelte und mehrfach wissenschaftlich evaluierte Programm Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR; Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion), welches Menschen in unterschiedlichen Lebenskontexten hilft, effizienter Stress zu bewältigen und gelassener auf Situationen in ihrem Leben einzugehen. 

Unabhängig von Meditation oder Atementspannung hilft sehr vielen Athleten auch ein Akronym weiter, das in dieser Form von Michael Phelps und seinem Trainer Bob Bowman geprägt wurde: W.I.N.. Heißt WIN vom Englischen ins Deutsche übersetzt alleine schon Sieg oder Erfolg, hat das Akronym noch eine weitere Bedeutung. Konkret verbirgt sich hinter W.I.N. die Frage „What’s Important Now?“ – also „Was ist jetzt wichtig?“. Egal in welcher Situation man sich befindet, egal wie viel Druck vielleicht vorhanden sein mag, egal was passieren kann, wenn man das Spiel gewinnt oder verliert – wenn man sich in jedem Moment die Frage stellt, was jetzt gerade wichtig ist, schafft man es meistens einen Schritt aus dem Wirbelsturm hinaus, hinein in das Auge des Wirbelsturms zu gehen, und sich selbst die richtige Antwort zu geben. „Ist es jetzt wichtig, mich über den Schiedsrichter zu ärgern?“, „Ist es jetzt wichtig, mich über meinen letzten Fehler aufzuregen?“, „Ist es jetzt wichtig, zu überlegen, wie viele Punkte ich für die Rangliste sammle, wenn ich heute gewinnen sollte?“. „Was ist jetzt wichtig?“ ist die Frage, die uns von allen Bewertungen der Situation und dem, was uns daran hindert, unsere beste Leistung abzurufen, ablenkt und unsere Aufmerksamkeit auf das richtet, was jetzt gerade notwendig, hilfreich und richtig ist. „Was ist jetzt wichtig? Der nächste Ball!“

Auch wenn im Text ausschließlich die männliche Form verwendet worden ist, ist immer auch die weibliche Form gemeint. Quellen und Literatur zum Text können vom Autor bezogen werden.
 

Zum Autor: 
Dr. Christian Zepp ist Sportpsychologe und begleitet Topsportler verschiedener Disziplinen. Unter anderem ist er auch als sportpsychologischer Experte für den DTTB tätig, arbeitet mit Deutschlands Nationalspielern und unterstützt sie auf internationalen Turnieren. Der Diplom-Sportwissenschaftler ist zudem Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Weitere Infos und Angebote finden Sie auf seiner Webseite.

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