Buntes

Hartmut Freund einziger Deutscher bei Global Games

Hartmut Freund bereitet sich gewissenhaft auf die Global Games vor (©Langohr)

01.09.2015 - Bei den Olympischen Spielen sind es Nationen wie Andorra, Gambia oder Brunei, die bei der Eröffnungsfeier nur mit einer Handvoll Sportlern einlaufen. Bei den INAS Global Games, den Weltspielen der Sportler mit intellektueller Behinderung, wird Deutschland Ende September nur von einem Athleten vertreten: dem Tischtennisspieler Hartmut Freund. Und obwohl der Württemberger wegen seiner starken Behinderung keine Medaillenchance hat, ist er aktuell in aller Munde.

Hartmut Freund ist etwas Besonderes. Bei vielen internationalen Wettkämpfen sticht der 47-Jährige dadurch heraus, dass er gute Leistungen bringt, obwohl seine Behinderung meist sehr viel schwerwiegender als die seiner Gegner ist. Bei den am 20. September in Ecuador beginnenden Global Games, den Paralympics für Sportler mit geistiger Behinderung, wird Freund zudem deshalb auffallen, da er unter 700 Sportlern der einzige Deutsche in neun Sportarten ist. Vielleicht ist das der Grund, aus dem sich der Weltverband INAS dazu entschlossen hat, in seiner Vorschau mit dem Tischtennisspieler für die alle vier Jahre stattfindenden Global Games zu werben. Sportlich hat der Mann mit dem markanten Stirnband jedenfalls kaum eine Chance. 

Medaillen hängen hoch

Hartmut Freund lebt seit seiner Kindheit mit einer mittelgradigen geistigen Behinderung, die ihn von seiner großen Leidenschaft, dem Tischtennissport, allerdings nie abgehalten hat - auch wenn der intellektuelle Anspruch dieser Sportart nicht zu leugnen ist (zum myTischtennis.de-Porträt über Hartmut Freund). Seit 1975 ist Freund mit dem Tischtennisschläger zugange, inzwischen spielt er für den TTC Bietigheim-Bissingen in der Kreisliga, wo er in der vergangenen Saison eine Bilanz von 8:10 erreichte und aktuell mit einem Q-TTR-Wert von 1456 unterwegs ist. Ob er ein Spiel gewonnen hat oder nicht, merkt er allerdings erst, wenn man ihn darauf hinweist - der Spielstand ist ihm während der Partie nämlich nicht bewusst. Solch eine starke Behinderung wie die des Württembergers weisen in der internationalen Szene - und auch im Teilnehmerfeld der Global Games - laut Freunds Bruder Norbert nur wenige Tischtennisspieler auf. „Es werden immer mehr sogenannte ‚Borderline‘-Spieler eingesetzt, deren Beeinträchtigung so gering ist, dass man ihnen ihre Behinderung kaum anmerkt, und die deutlich höhere Siegchancen haben“, weiß der zwei Jahre Ältere. „Wegen dieser Tendenz wird es immer schwieriger für Hartmut, sich durchzusetzen.“ Und aus diesem Grund hängen die Medaillen in Ecuador auch in fast unerreichbarer Höhe.

Trotzdem war der Weltranglisten-24. in den vergangenen vier Jahren bei vier Welt- und Europameisterschaften am Start und kämpfte sich jedes Mal bis in die Hauptrunde vor. Bei der INAS-EM im vorigen Jahr schaffte er es sogar bis ins Viertelfinale. „Es wäre aber auch diesmal schon als Erfolg zu werten, wenn er die Vorrunde überstünde“, gibt Norbert Freund das Ziel vor. „Da er der einzige Deutsche ist, kann er nicht im Doppel und Teamwettbewerb antreten. Da wäre es schade, wenn im Einzel nach der langen Reise schon früh Schluss wäre.“ Dass keine weiteren deutschen Sportler am Start sind, hat laut Deutschem Behindertensportverband sportliche Gründe. Und auch Hartmut Freund wurde vom DBS lediglich gemeldet, allerdings nicht nominiert, was bedeutet, dass er die Kosten selbst tragen muss. Kevin Müller, DBS-Pressesprecher für den Bereich Leistungssport, erläutert auf Nachfrage der myTischtennis.de-Redaktion: „Genau wie in allen anderen Klassen müssen wir uns an Vorgaben halten, anhand derer wir solche Entscheidungen treffen. Hartmut Freund ist in der Weltrangliste nicht gut genug platziert, als dass wir ihn hätten nominieren können.“

Zusätzliche Startklasse in der Planung

Dem Bietigheimer ist das Gefühl, der einzige deutsche Teilnehmer zu sein, nicht unbekannt. Bereits bei den letzten Global Games vor vier Jahren marschierte der Block- und Konterspezialist zusammen mit seinem Bruder, seinem Vater und der deutschen Flagge bei der Eröffnungsfeier als einzige deutsche Hoffnung ein. Damals belegte er in einem Feld von 50 Spielern Platz 20. Bessere Ergebnisse könnten allerdings bald schon möglich werden. Denn der Weltverband INAS berät aktuell über die Einführung einer zweiten Startklasse für Sportler mit einer schweren intellektuellen Behinderung, damit diese gegen die vielen Athleten mit leichterer Behinderung nicht benachteiligt sind. „Alle Spieler, die besser als Hartmut sind, haben eine leichtere, oft sogar bloß eine Lernbehinderung“, weiß Norbert Freund. „Wir brauchen diese zusätzliche Startklasse, da die stärker eingeschränkten Sportler sonst irgendwann gar nicht mehr antreten.“

Bei den diesjährigen Global Games in Ecuador wird es eine solche Unterscheidung allerdings noch nicht geben. Und auch wenn Freunds Chancen aus diesem Grund gering sind, geht er die Sache professionell an. Fünfmal pro Woche trainiert er in der heißen Phase, unter anderem mit der früheren Bundesligaspielerin Szilvia Kahn und dem ehemaligen TTBL-Coach Momcilo Bojic. Aktuell bereitet er sich sogar im Höhentraining auf die besonderen Umstände im Andenhochland vor. Dass er solch einen Aufwand für seinen Sport betreiben kann, hat er zu einem Großteil seiner Familie zu verdanken, die ihn in allen Lebenslagen unterstützt. Sein Bruder Norbert gab Ende 2013 seinen Job als Journalist auf, um den Eltern bei Hartmuts Pflege unter die Arme zu greifen. Seitdem lebt die Familie finanziell auf kleinem Fuß, so dass sie auf die Unterstützung von Sponsoren wie dem Tischtennisausrüster andro angewiesen ist. Ein weiterer Unterstützer ist Dimitrij Ovtcharov, der Freund Ende 2014 mit einer Spende über die Crowdfunding-Plattform Monaco Funding bedachte, damit sein Traum von der Teilnahme an den Global Games Wirklichkeit wird. Erst gestern postete der Weltranglistenfünfte auf seiner Facebookseite: „Ich freue mich sehr, dass Hartmut Freund nun sicher bei den INAS Global Games in Ecuadors Hauptstadt Quito starten wird. Ab dem 20. September drücke ich ihm die Daumen!“ 

Viele Fans durch YouTube-Clip

Der beste Spieler Europas ist allerdings längst nicht sein einziger Fan. Ein Youtube-Video, das Freund bei den Bayreuth Open zeigt und wegen der großen Spielfreude, die er bei jedem Punkt an den Tag legt, berührt, sorgte in den sozialen Netzwerken für große Aufmerksamkeit und erhöhte den Bekanntheitsgrad des Sportlers immens. Ganz alleine wird Hartmut Freund also nicht sein, wenn er in drei Wochen als Fahnenträger und einziger deutscher Starter bei der Eröffnungsfeier der Global Games einlaufen wird. Und auch die myTischtennis.de-Redaktion drückt fest die Daumen.

(JS)

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