WM 2015

Persson über ‚Dima‘: „Zu viel Respekt ist auch gefährlich“

TT-Legende Jörgen Persson erzählt im myTischtennis.de-Interview, wie er Dimitrij Ovtcharovs WM-Aus erlebt hat (©Stosik)

01.05.2015 - Einen Monat vor der WM in Suzhou haben wir uns mit Dimitrij Ovtcharov und Jörgen Persson unter anderem über seine Ambitionen bei den Welttitelkämpfen unterhalten und darüber, wie man die Chinesen schlagen kann. Bis Ma Long und Co. ist 'Dima' allerdings leider nicht gekommen. Er schied in der zweiten Runde gegen den Koreaner Lee Sangsu aus. Wir haben seinen persönlichen Coach Jörgen Persson gefragt, wie er das Spiel erlebt und was Ovtcharov falsch gemacht hat.

myTischtennis.de: Jörgen, von wo aus hast du das Spiel Dimitrij Ovtcharov gegen Lee Sangsu verfolgt?

Jörgen Persson: Ich saß auf der VIP-Tribüne - die perfekten Sitze, direkt hinter den Tischen.

myTischtennis.de: Und, was ist deine Meinung?

Jörgen Persson: Der Anfang war sehr schwer. ‚Dima‘ hat immer hinten gelegen und seinen Rhythmus nicht gefunden. Deshalb hat er ein bisschen verkrampft, was die Sache nicht einfacher gemacht hat. Im fünften Satz, nachdem er auf 2:2 herangekommen war, hatte er eine gute Chance. Da hat er zum Beginn direkt 2:0 geführt und ich hatte die Hoffnung, dass er, wenn er jetzt noch ein paar Punkte macht, etwas lockerer werden könnte. Leider hat das nicht geklappt. Im sechsten war er wiederum gut, da hat er aktiver gespielt und auch ein paar Vorhand-Flips probiert. Im siebten lag er dann aber direkt hinten. Zwischendurch hatte er eine kleine Chance, aber sein Gegner war sehr clever und hat seine Sache gut gemacht. 

myTischtennis.de: Was hättest du ihm gesagt, wenn du gekonnt hättest?

Jörgen Persson: Es ist eine schwere Situation für einen Coach, wenn man merkt, dass sein Spieler verkrampft. Wenn man nervös ist, ist das halt so - das ist schwer zu ändern. Die Taktik ist dann nicht mehr so wichtig. 'Rossi' hat ihm sicher gesagt, dass er versuchen muss, lockerer zu werden. Aber ein Coach kann das nicht beeinflussen. Von der Tribüne aus ist alles einfacher. Da gibt es eine Menge Weltmeister - auf der Tribüne und vor dem Fernseher (lacht).

myTischtennis.de: Wir hatten vor einem Monat darüber gesprochen, wie wichtig es ist, Fantasie und Kreativität einzusetzen. Hat ‚Dima‘ das bei dieser WM umsetzen können?

Jörgen Persson: Nein, noch nicht. Das erfordert einen Lernprozess, das geht nicht von heute auf morgen. Und wenn man verkrampft, greifen viele gerne auf die gewohnten Dinge zurück und spielen auf Sicherheit. Im sechsten Satz war er ein bisschen lockerer und hat was probiert. Da war er etwas ruhiger.

myTischtennis.de: Welchen Plan hattet ihr euch vorher zurecht gelegt?

Jörgen Persson: Es gab keinen speziellen Plan. Wir hatten morgens miteinander trainiert und er wollte natürlich seine Setzung erfüllen. Das heißt, er wollte mindestens ins Viertelfinale kommen.

myTischtennis.de: Hat er vielleicht schon zu weit nach vorne geschaut, sich schon zu sehr mit dem Viertelfinale und den Chinesen beschäftigt?

Jörgen Persson: In China will man auch gegen die Chinesen spielen. Das ist sehr speziell hier und macht einfach Spaß. Das weiß ich noch aus meiner Zeit als schwedischer Nationalspieler. Aber bei einer WM muss man alle Runden spielen. Die Chinesen kommen erst im Viertel- oder Halbfinale und es ist gefährlich, wenn man so weit voraus guckt. Man muss tatsächlich von Runde zu Runde denken, aber das weiß ‚Dima‘ auch. In seinem Fall hatte er vielleicht sogar zu viel Respekt vor diesem Gegner. Respekt ist gut, aber zu viel ist auch gefährlich. Das Ganze ist sehr schade. Er ist in einer guten Form und hatte sich wirklich perfekt vorbereitet.

myTischtennis.de: Worüber habt ihr gesprochen, als ihr euch nach dem Spiel gesehen habt?

Jörgen Persson: Er war traurig, das ist ganz normal. Bei einem Turnier bist du wie ein Ballon. Wenn du verlierst, geht die Luft raus. Ich denke, es ist sehr gut, dass jetzt schnell die European Games kommen. Die finden zum ersten Mal statt, das ist was Besonderes. Und ‚Dimas‘ Form ist da. Er muss jetzt nach Hause fahren, das vergessen, eine Pause machen. Es ist gut, das Ganze für sich selbst zu reflektieren. Und dann kommt ganz schnell wieder was Großes.

myTischtennis.de: Wie verlief der Abend? Habt ihr euch das Spiel mit ‚Rossi‘ noch mal auf Video angeschaut?

Jörgen Persson: Nein, nicht jetzt. Das will man so kurz danach nicht analysieren. Man ist noch zu enttäuscht. Es ist das zweite Mal jetzt, dass er früher rausfliegt, als er wollte. 2013 gegen Patti (Anm. d. Redaktion: Patrick Baum), jetzt Lee Sangsu. Er muss nun zwei Jahre warten, um seine nächste Chance zu bekommen. Aber dann wird er viel von dieser WM gelernt haben. 

myTischtennis.de: Was macht Dimitrij Ovtcharov jetzt? Ist er noch hier?

Jörgen Persson: Nein, er ist heute nach Hause geflogen. 

myTischtennis.de: Und du? Du hattest ja sicher damit gerechnet, ihn hier noch länger zu betreuen…

Jörgen Persson: Ja, das wäre mir auch viel lieber gewesen. Es macht Spaß, wenn es in die späten Runden geht. Aber ich kann hier noch zugucken und vielleicht auch noch was für ‚Dima‘, für zukünftige Spiele mitnehmen. Ich halte zu denen, die ein bisschen Druck auf die Chinesen ausüben. Patrick Franziska und Timo Boll sind ja auch noch drin. Da fiebere ich die nächsten Tage mit.

(JS)

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