Pro vs. Contra

Pro vs. Contra: WM-Duo Boll/Ma Long eine gute Idee?

Lennart Wehking und Jan Lüke sind sich nicht einig, wie sie das Doppel Ma/Boll finden sollen (©Facebookseite Boll)

05.03.2015 - Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und rief vor allen Dingen positive Resonanz hervor: Timo Boll und Ma Long machen von der neuen Regelung der ITTF Gebrauch und bilden bei der WM in Suzhou ein transnationales Doppel. Jan Lüke und Lennart Wehking sind sich dagegen absolut nicht darüber einig, ob dies eine so gute Idee ist. In unserer Reihe ‚Pro vs. Contra‘ diskutieren sie über Vor- und Nachteile sowie über Beweggründe.

 

 
 
 

 

PRO

Jörg Roßkopf hatte Recht: Große Überraschungen bei der Nominierung seines WM-Kaders blieben aus. Der Doppelweltmeister von 1989 schickt seine aktuell fünf klar stärksten Pferde ins Rennen: Ovtcharov, Boll, Steger, Franziska und Mengel, dieses Quintett steht ohne Frage für die wohl beste deutsche Herren-Generation aller Zeiten. Genau diese fünf werden in China einmal mehr probieren, die asiatische Übermacht herauszufordern - mit einem klaren Sonderauftrag für die zwei Top-Ten-Athleten Dima Ovtcharov und Timo Boll, die beide nur das Ziel Medaille im Kopf haben können. Ein Ziel, dem insbesondere Timo Boll schon jetzt ein großes Stück näher gerückt ist, noch vor dem ersten Aufschlag in Suzhou. Denn zum ersten Mal in der Geschichte des Tischtennissports geht ein chinesisch-deutsches Doppel an den Start – und was für eins! Die Meldung des nationenübergreifenden Doppels Ma Long und Timo Boll schlug ein wie eine Bombe. Der erfolgreichste europäische Athlet des letzten Jahrzehnts, seines Zeichens ein ausgewiesener Doppelspezialist, Seite an Seite mit dem für mich komplettesten Spieler der Welt. Solch ein Schmankerl lässt die von chinesischer Verbandsseite und Spielerkommission angeregte und vom Weltverband angenommene Änderung der Statuen zu. 

Ich bin begeistert. Das stürmisch betitelte „legendary pair“ bietet nicht nur einem der populärsten deutschen Sportler der letzten Jahre eine unglaubliche Möglichkeit, seine bisher von ganz, ganz großen Titeln ungerühmte Karriere ein für allemal zu krönen. Nein, diese Öffnung des Wettbewerbs hat gleichzeitig schon jetzt eine ungemeine symbolische Kraft. China setzt ein Zeichen und scheint gewillt, eine Strategie in die Tat umzusetzen, die dem weltweiten Tischtennissport einen neuen Schub geben könnte - neue Wege, die eigene, den Tischtennissport erdrückende Dominanz zu lockern, das Wissen zu teilen, für neuen Wettbewerb zu sorgen. Und wie könnte man das besser tun, als den größten Widersacher der zwei überragenden Generationen chinesischer Champions, den in China bekanntesten europäischen Sportler bei der Heim-WM in Szene zu setzen. 

Doch zurück auf die praktische Ebene, zurück auf die Ebene eines Tischtennis-Fans. Ich bin ganz ehrlich: Den Auftritten dieser Kombo fiebere ich entgegen wie kaum einer Begegnung zuvor. Denn ich bin mir sicher, dass auch das Doppelspiel wieder in den Fokus des Interesses rückt, endlich! Filigrane Rotationsfähigkeit gepaart mit unglaublicher Dynamik. Effizienz und Übersicht Hand in Hand mit geballter Durchschlagskraft und Athletik pur. Ja, das Doppel Ma Long und Timo Boll wird ein absoluter Hingucker - und schwerlich zu bezwingen sein. 

Nebenbei bringt die Meldung dieser Paarung weitere, nicht zu unterschätzende Aspekte mit sich und diese sind meiner Meinung nach durch und durch positiv. Das ist zum einen die mediale Vermarktung eines solchen Großevents - Schlagzeilen sind sowohl der ITTF als auch dem DTTB sicher, die Weltmeisterschaften in Suzhou werden in die Geschichtsbücher eingehen und in den deutschen Sportredaktionen wird dieses Doppel und sein hoffentlich erfolgreicher WM-Auftritt ein neues Interesse entfachen. Die neue Regelung zu transnationalen Doppeln garantiert zum anderen Abwechslung und Spannung im Doppelfeld, einer Disziplin, die eigentlich und bedauerlicherweise seine besten Tage schon hinter sich gelassen hatte. Sicherlich kann man kritisch hinterfragen, warum China freiwillig auf eine rein chinesische Medaille verzichtet. Doch bei mir überwiegt die Freude, zwei verschiedene Tischtennis-Philosophien zusammen an einem Tisch zu sehen, die gemeinsam fighten, punkten und die für das Doppel so spezielle Mischung und Abstimmung finden werden. Was für eine Chance, die Chinesen besser kennenzulernen, ihre Tischtennis-Fantasie zu ergründen und auf der Trainerebene einen Austausch zu initiieren!

Die Chancen jedenfalls, dass der Bundestrainer sein goldenes Alleinstellungsmerkmal im deutschen Tischtennis in Zukunft nicht mehr nur mit "Speedy" Fetzner teilen muss, sind sprunghaft gestiegen. Ihn wird das freuen! (Lennart Wehking)

 
 
 
 
 
CONTRA

Dürfte sich Timo Boll einen Doppelpartner schnitzen, würde wohl sehr viel von ihm Ma Long erschreckend nah kommen. Eine hohe Kontrolle über dem Tisch, vor allem beim Rückschlag, ein gutes Passivspiel gerade in der Rückhand-Diagonalen und natürlich: krachende Endschläge, die die spinreichen Vorbereitungsschläge von Boll zum Abschluss bringen. Und Rechtshänder sollte er auch noch sein, bitteschön. Damit auch ja kein Wunsch offen bleibt. Nun, schnitzen kann sich Boll seinen Doppelpartner noch immer nicht. Muss er aber auch nicht. Denn er kann ihn mittlerweile immerhin wieder aus dem Ausland rekrutieren. Der Weltverband lässt seit dieser Saison wieder nationenübergreifende Doppel bei den Weltmeisterschaften zu. Und siehe da: Boll bekommt bei der WM im chinesischen Suzhou Ma Long an die Hand. Der hat all das Aufgezählte zu bieten – und noch ein bisschen mehr. Er ist der derzeit vielleicht stärkste Spieler der Welt.

All das klingt nach einer tollen Geschichte – erst recht dann, wenn man sie mit der schwarz-rot-goldenen Brille liest. Boll reist als heißer Anwärter auf die Goldmedaille im Doppel-Wettbewerb zu den Welttitelkämpfen. Auch der neutrale Beobachter wird an der - mit Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit fruchtbringenden - Kombination aus feiner europäischer Spielkunst und brachialem chinesischen Power-Tischtennis seinen Gefallen finden. Dennoch: Ich bin der Meinung, dass die Regelung im Generellen und die Paarung Ma/Boll im Speziellen keine sonderlich gute Idee im Sinne des Sports ist.

Denn es stellt sich doch die Frage, was die Beweggründe für die Entscheidung der Verbände sind, die – das sollte man an dieser Stelle betonen – ganz sicher vor den Entscheidungen der betroffenen Spieler standen. Dem Deutschen Tischtennis-Bund und erst recht nicht Timo Boll kann man daraus einen Strick drehen. Boll ist über Nacht zum Topfavoriten auf den WM-Titel geworden. Er hat die Möglichkeit, mit dem besten Spieler der Welt auf Titeljagd zu gehen. Ein Titel, der auch dem DTTB bestens zu Gesicht stünde, wenngleich der Verband die Chance versäumt, einer verbandsinternen Paradekonstellation mit Blick auf die Olympischen Spiele im kommenden Jahr zu einer Generalprobe zu verhelfen. Die Gründe des chinesischen Verbands und des Weltverbands in dieser Sache dagegen erschließen sich mir zwar in Teilen, für sonderlich rühmlich halte ich sie aber nicht. 

Da wären zum einen die Chinesen: Die Chinesen brauchen Timo Bolls Spielstärke nicht, um Weltmeister zu werden. Das klingt hart gesprochen, ist aber de facto nicht falsch. Das liegt auch kein bisschen an Timo Boll, der noch immer einer der weltbesten Spieler ist und zu Recht höchstes Ansehen in China genießt. Das liegt vielmehr an den Chinesen, die so furchterregend gut sind, dass sie selbst im Doppel ihre besten Paarungen zielgenau in Richtung Titelgewinn und Podestplätze steuern. Das haben sie in der Vergangenheit getan, das hätten sie auch in Suzhou getan. Allerdings brauchen die Chinesen Boll – noch dazu bei den Titelkämpfen im eigenen Land – für eine Inszenierung, eine Show, für Marketing und Promotion. Sie brauchen seine Popularität und seine Reputation als Image- und Sympathieträger. Und dafür schenken sie möglicherweise die Hälfte einer Goldmedaille her. Die sportliche Ehe zwischen Ma Long und Timo Boll ist zwar eine vielversprechende, aber nicht allein aus sportlichen Motiven erwachsen.

Aus welchen denn sonst? Weil China in der Spitze und der Breite mittlerweile so dominant ist, dass es Langeweile fürchtet. Nicht im Kleinen, sondern im Großen. China fürchtet, dass das Interesse der Fans und Aktiven an der Sportart zurückgehen könnte, wenn die Dominanz zu groß und die Gesichter immer dieselben aus dem eigenen Lager sind. Wenn das sportliche Duell mit anderen Nationen ausbleibt und Tristesse einsetzt. Finde ich das bei Trainings- oder Super-League-Gastspielen noch eine vertretbare Win-win-Situation, ist es bei einer Weltmeisterschaft das falsche Signal an die Tischtennis-Welt da draußen. China ist die beste Tischtennis-Nation der Welt und sollte das auch ohne Wenn und Aber zeigen. Die Weltmeisterschaften sind der Wettkampf, in dem wie bei keinem anderen der Leistungsgedanke und der Wettstreit zwischen Nationen im Vordergrund steht. Auch ich bin dafür, dass China sich dem Rest der Tischtennis-Welt öffnet und die Lücke zum Klassenprimus wieder kleiner wird. Aber solange China enteilt ist, soll es das auch mit aller Stärke demonstrieren dürfen.

Da wäre zum anderen der Weltverband: Dessen neue Regelung zu transnationalen Doppeln ist nicht per se unlogisch oder unvernünftig, doch sie nimmt einer Weltmeisterschaft vielleicht einen Teil seiner DNA und seines Alleinstellungsmerkmals als Länderkampf. Die Gründe dafür werden bei der ITTF ähnliche sein wie die der Chinesen. Doppel wie Ma/Boll wird sich der Verband bei der Einführung der Regel erhofft oder sie gar schon gekannt haben. Sie versprechen Aufmerksamkeit, Spektakel und Abwechslung. Aber sie schwächen eventuell den Stellenwert des bedeutsamsten Wettbewerbs dieses Sports, wenn sie eine Nation dazu animieren, dort freiwillig ein Stück seiner Dominanz abzutreten. (Jan Lüke)

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