10.12.2014 - Wer ein Faible für Tischtennis-Comics wie die unseres Cartoonisten Ulli Laven hat, sollte jetzt einmal herhören. Denn eine wahre Größe in der deutschen Comicszene, der Zeichner Mawil, hat in diesem Jahr ein 300-seitiges Buch zum Thema Tischtennis herausgebracht, für das er mit dem wichtigsten nationalen Comicpreis ausgezeichnet wurde. Wir erzählen die Geschichte hinter der Geschichte und geben Ihnen eine Leseprobe.

Bevor Mircos Doppelpartner Torsten den Ball zum Aufschlag hochwirft, muss alles noch einmal kontrolliert werden. Und das ist auch kein Wunder - schließlich soll dies nicht irgendein Aufschlag werden, sondern die 'Angabe des Todes', die effektivste Geheimwaffe, die Mirco und Torsten im Spiel mit den beiden 'Großen' auf der Schulhofplatte haben. Stimmt der Abstand zum Tisch, woher kommt der Wind? Und dann fliegt er, der Drei-Sterne-Ball, fliegt scheinbar endlos durch die Luft - so, wie wir es auch von Shan Xiaona oder unserem Aufschlagexperten Hermann Mühlbach kennen - und erzielt genau die gewünschte Wirkung: Die beiden Gegner sind total überfordert. 

Vom Stubenhocker zum Tischtennishelden

'Die Angabe des Todes' gab es zwar nie, verrät uns Mawil, der Schöpfer des 300-seitigen Comics 'Kinderland', aus der auch diese Passage stammt. Dafür sind etwa 30 % seiner Geschichte autobiographisch. "Ich war ein Stubenhocker und habe nicht viel erlebt. Es wäre viel zu langweilig geworden, wenn ich nur ein Buch über mich gezeichnet hätte", gibt sich Markus Witzel, wie Mawil eigentlich heißt, bescheiden. "Aber eines ist wahr: Tischtennis war der einzige Sport, in dem ich als Kind mithalten konnte. Als Zeichner arbeite ich am Tisch, da fühle ich mich auch im Sport am Tisch am wohlsten." Eigentlich hatte 'Kinderland' eine große Tischtennis-Saga werden sollen - über einen Verlierertypen, der im Tischtennis seine Berufung findet und groß herauskommt. Doch Mawils Verlag hatte andere Pläne: "'Mach doch was zur DDR', hieß es, worauf ich eigentlich gar keine Lust hatte", erzählt der Ostberliner. "Also hat mir ein Kollege geraten: 'Mach doch einfach beides!'" Und so verband Mawil die gewünschte Geschichte über die DDR mit seiner Leidenschaft Tischtennis in der Figur des Mirco Watzke, die ihm nicht unähnlich ist.

Wie sein Schöpfer wächst Mirco in Ostberlin auf und erlebt die letzten Tage der DDR als Siebtklässler. Der Brillenträger mit 'Vokuhila' ist zu schüchtern, um zu den Coolen der Schule zu gehören, und kann eigentlich nur in einer Situation punkten - wenn auf dem Schulhof Tischtennis gespielt wird. Mirco freundet sich mit dem seltsamen Neuen aus der Parallelklasse, Torsten Maslowski, an und erkämpft sich immer mehr Respekt - während das Land langsam aber sicher seinem Ende entgegensteuert. "Für mich war das Timing einfach perfekt", findet der 38-Jährige. "Das Land endete mit meiner Kindheit. Sobald es mir zu eng geworden wäre, ist die Mauer gefallen." Im Comic bedeutet der Mauerfall dagegen eine mittelschwere Katastrophe in Mircos kleiner Welt. Schließlich hatte er genau für diesen Tag ein großes Tischtennisturnier anlässlich des Pioniergeburtstags organisiert. Als er stattdessen von seinen Eltern in den Westen 'entführt' wird, erlebt er allerdings eine andere Sternstunde. Bei Woolworth darf er sich von seinem Begrüßungsgeld einen richtigen Tischtennisschläger aussuchen. 

"Rüberbringen, dass Tischtennis ein cooler Sport ist"

Auch dies ist eine Parallele zu Markus Witzels Kindheit, der seine erste 'Kelle' aus dem Westen liebevoll mit Pflasterstreifen statt Kantenband einklebte. "Davor hatte ich mit einem Schläger ohne Beläge gespielt und ein Papier mit einer Zielscheibe daraufgeklebt." Doch sowohl für Mawil als auch für Mirco ist es letztlich egal, womit sie am FKK-Strand, im Treppenhaus oder auf der Klassenfahrt spielen - ob sie ein Schulbuch nehmen oder sich erst noch ein Netz basteln müssen. Denn am Ende zählt nur die Leidenschaft für den Sport, die der Zeichner noch immer empfindet. "Ich habe nie im Verein gespielt, weil ich mir den Spaß daran erhalten - und ihn nicht wie im Klavierunterricht verlieren - wollte", erzählt Mawil, der sich bis heute regelmäßig mit Freunden am Betontisch trifft. "Anfangs tun zwar alle Knochen weh, aber wenn der Adrenalinkick kommt und die Ballwechsel actionreicher werden, kommt kein Computerspiel an dieses Gefühl heran."

Diese Action wollte der Comiczeichner mit aller Macht auch in 'Kinderland' unterbringen - und bog zu diesem Zweck ab und zu in Richtung Mangas ab, die ausführlicher und filmischer funktionieren. "Mit den Tischtennisszenen habe ich wirklich gekämpft, weil ich alles reinstopfen wollte, was geht. Tischtennis wird in der Öffentlichkeit nicht gerade als die coolste Sportart wahrgenommen. Aber ich hatte den Ehrgeiz, rüberzubringen, dass Tischtennis durchaus ein cooler Sport ist." 

'Kinderland' als 'bester deutschsprachiger Comic' ausgezeichnet

Zwar geht es in 'Kinderland' nicht ausschließlich um den kleinen weißen Ball und auch Mawils Tischtennisszenen beschränken sich auf die Schulhofduelle von ein paar motivierten Kindern und bleiben damit im Hobbybereich. Die Leidenschaft für das Spiel, die der Zeichner in die Bilder legt, kommt trotzdem herüber. Das fand offensichtlich auch die Jury der wichtigsten nationalen Comicauszeichnung, des 'Max-und-Moritz-Preises', die die DDR-/Tischtennis-/Coming-of-Age-Geschichte als 'besten deutschsprachigen Comic' auszeichnete. Für Mawil, der sechs Jahre an 'Kinderland' gearbeitet hat, eine große Ehre, die ihn eine Stufe weiter nach oben gebracht hat. Was haben wir also auf diesem neuen Level zu erwarten? Vielleicht die Fortsetzung von Mircos Abenteuern? "Nein, ich habe ein paar Ideen, aber habe mich noch nicht entschieden, welcher ich mich nun widmen soll. Zum Thema Tischtennis habe ich allerdings wirklich alles gegeben und alles in 'Kinderland' hineingepresst, was ich konnte." Wie Mirco seine 'Angabe des Todes' weiterentwickelt, bleibt also unserer Fantasie überlassen.

Eine Leseprobe finden Sie in dieser Bildergalerie!

(JS)