Pro vs. Contra

Pro vs. Contra: Regeländerungen für Abwehrspieler?

Wären Regeländerungen für Abwehrspieler Ihrer Meinung nach eine Lösung? (©Fabig)

23.02.2019 - In unserer Spezialwoche zum Abwehrspiel dreht sich natürlich auch das Pro vs. Contra um dieses Thema. Die Einführung des Plastikballs vor wenigen Jahren traf die Abwehrspieler schwer, die ohnehin schon immer weniger wurden und werden. Sollen daher die Regeln in irgendeiner Form noch einmal angepasst werden, um den Abwehrspielern zu helfen? Darüber diskutieren Lennart Wehking und Jan Lüke!

PRO:

Hin und wieder kochte die Stimmung beim Top-12-Ranglistenturnier der Jugend am vergangenen Wochenende im niedersächsischen Lehrte richtig hoch. Meistens dann, wenn Lokalmatador Dominik Jonack in der Box stand und Topspin um Topspin aus den hintersten Ecken der Box fischte. Das spektakuläre Duell Angriff gegen Abwehr ist mittlerweile leider zu einer Rarität geworden. Und Abwehrspieler Jonack gehört im Tischtennissport zu einer Spezies, die vom Aussterben bedroht zu sein scheint. Dass das für unseren Sport ein herber Verlust wäre, wurde an vergangenen Wochenende einmal mehr deutlich. Die langen Rallys im Kampf Offensiv gegen Defensiv sorgen für Begeisterung beim tischtennisaffinen und vor allem auch tischtennisfernen Publikum.  

Der Trend ist eindeutig: Abwehrspieler werden in Vereinen und Verbänden immer seltener ausgebildet, in der internationalen Spitze sind die Begegnungen von Angriff- und Abwehrsystemen ebenfalls mehr und mehr die Ausnahme. Was könnte diese Entwicklung stoppen und dem in meinen Augen äußerst spannenden und bereichernden Abwehrsystem zu einem Comeback verhelfen? Ich bin der Meinung, dass es an der Zeit ist, über konkrete Regelmaßnahmen nachzudenken, die das Abwehrspiel wieder unterstützen. Und ich sehe dafür mehrere Gründe.

Kaum eine Sportart hat in der Vergangenheit so vehement versucht, das Spiel attraktiver und medial verwertbarer auszurichten wie der Tischtennissport. Die Einführung von Plastikbällen war die letzte Änderung und brachte die bislang wohl fundamentalsten Auswirkungen auf das Spiel mit sich. Der Ball nimmt deutlich weniger Rotation an, die Spinentwicklung als ein Kernelement unseres Sports wurde stark eingeschränkt – eine unglaubliche Herausforderung vor allem für alle Abwehrspielerinnen und Abwehrspieler, denen quasi über Nacht die taktische Grundausrichtung zunichte gemacht wurde. Je nach Balleigenschaft der zig verschiedenen Modelle, die derzeit auf dem Markt existieren, verzweifeln insbesondere die Abwehrspieler, die bislang aus einer sicheren Defensive mit Schnittwechsel zum Punktgewinn kommen wollten. Hier ist in meinen Augen auch die Materialbranche gefragt, bei der Weiterentwicklung von Hölzern und Belägen auch an die Abwehrer zu denken – immer mit Ziel, den stark reduzierten Effet mit dem Plastikball wieder auszugleichen. Denkbar und wünschenswert wäre auch die Produktion von Plastikbällen, die wieder stärker Rotation annehmen. 

Natürlich muss sich das Abwehrsystem weiterentwickeln und proaktiv taktische und technische Lösungen finden. Das ist ja auch schon passiert, sowohl bei den Damen als auch bei den Herren agieren die Abwehrspieler deutlich offensiver, stören dichter am Tisch und wechseln bei eigenem Aufschlag schneller und kompromissloser in den Angriffsmodus. Nur: Wenn wir das Abwehrspiel flächendeckend als kreatives und wichtiges Element in unserer Sportart behalten wollen, muss über Regeländerungen nachgedacht werden, die die Benachteiligung der letzten Jahre wettmachen kann. Wie wäre es vor diesem Hintergrund, über höhere Netze, die wieder eine höhere Flugkurve provozieren würden, nachzudenken? Oder über die Möglichkeit für Abwehrspieler, zwei gleichfarbige Beläge zu nutzen, um den Störbelag besser verbergen zu können. Oder, oder, oder. Ich habe keine fertige Lösung parat, aber in den Entscheidungsgremien des Weltverbands sitzen kreative Funktionäre, die in der Vergangenheit schon mit der einen oder anderen überraschenden Regeländerungen aufgewartet haben. Denen rufe ich zu: Rettet das Abwehrspiel!

(Lennart Wehking)

CONTRA:

Wer in Schwierigkeiten steckt, dem bietet man seine Hilfe an. Und Abwehrspieler stecken in Schwierigkeiten. Immer weniger Nachwuchs spielt Abwehr, immer weniger Trainer bilden Abwehrer aus – und in der Weltspitze gibt es vor allem bei den Männern immer weniger nachahmenswerte Vorbilder. Vom Aussterben bedroht oder schon längst tot? Das System ‚Defensivspiel‘ steckt jedenfalls tief in der Krise. Und es ist derzeit nicht abzusehen, wie der Weg heraus aus dieser Krise aussehen könnte.

Das Tragische daran ist, dass ausgerechnet die, die sich seit Jahren und Jahrzehnten bemühen, unsere Sportart massen- und medientauglich zu machen, einen entscheidenden Anteil daran tragen, dass das vielleicht beliebteste Spielsystem bei Laien und Experten zu verschwinden droht. Erst vergrößerte der Weltverband den Ball von 38 auf 40 Millimeter, ein Jahrzehnt später wechselte man von Zelluloid auf Plastik. Und zwischendurch sorgte man beim Material dafür, dass glatte Langnoppen aus dem Sport verschwanden. Ein Ergebnis der Regeländerungen war, dass der Tischtennissport an der Basis, aber auch an der Spitze, mit jedem Jahr an Vielfalt verloren hat. Die Spielsysteme und Spielertypen glichen sich stärker an. Und vor allem das klassische Abwehrspiel, das von Rotation und Rotationswechsel lebte, in dem Unterschnittbälle so viel Rotation haben konnten, dass sie zum Endschlag wurden, wurde entscheidend benachteiligt. Spieler wie Ding Song, Evgueni Chtchetinine oder Koji Matsushita, Legenden der 90er-Jahre, könnte es heute nicht mehr geben.

Oft kommt die Forderung auf, denen, die von den neuen Regeländerungen am stärksten betroffen sind, mit wieder neuen Regeln auf die Beine zu helfen. Oder kurz gesagt: Regeländerungen für Abwehrspieler! Zwar halte ich es durchaus für möglich, dass sich Regeln finden würden, mit denen man die Möglichkeiten und Chancen des Abwehrspiels wieder erhöht. Etwa was die Spieleigenschaften von Bällen, Tischen oder Belägen angeht. Aber in meinen Augen ist es nicht die Aufgabe des Regelwerks, diesen Ausgleich zwischen verschiedenen Spielsystem zu schaffen. Die negativen Begleiterscheinungen von Regeländerungen mit weiteren Regeländerungen und womöglich weiteren negativen Begleiterscheinungen zu reparieren – das wird nicht funktionieren. Natürlich kann man darüber streiten, wie sinnvoll jede einzelne der vielen Änderungen an unserer Sportart in der Vergangenheit gewesen ist. Aber letztlich ist es müßig. Zumal die Veränderungen der Regeln zwar offensichtlich auf Kosten der Abwehrspieler gingen, aber nicht für oder gegen sie eingeführt wurden. Jede neu eingeführte Regel hatte ihre eigene Geschichte, erst recht der letzte tiefe Einschnitt in die DNA der Sportart, die Einführung des Plastikballs.

Vielmehr geht mein Appell raus an die Trainer und Trainerinnen, Spieler und Spielerinnen: Denkt euch was aus! Werdet kreativ! Entwickelt Ideen und Spielstile für das Abwehrspiel! Ich bin mir sicher, dass es noch viel Potenzial für das Abwehrspiel gibt, das noch nicht ausgeschöpft ist, auch wenn ich mir selbst nicht anmaße, zu wissen, wo es liegt. Das Einheitstischtennis der Gegenwart macht seine Akteure in Zukunft wieder anfälliger für Gegnerinnen und Gegner, die anders erfolgreich sein wollen. Wie wäre es mit einem Penholder, der als Linkshänder tischnah mit zwei Anti-Belägen abwehrt? Ich würd’s mir anschauen. 

(Jan Lüke)

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