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Der Phasendrescher: Eine Rede, eine Rede...!

Mauerblümchen oder Entertainer? Die Begrüßungsrede fördert verschiedene Typen zutage (©Koch/Laven)

20.02.2017 - Bei seiner Analyse der Phasen eines typischen Amateurspiels war unser Phasendrescher Philipp Hell schon beim dritten Satz angekommen, als er von dem Spiel nebenan in der Halle unterbrochen wird, wo der Mannschaftsführer nun die Begrüßungsrede halten will. Wie Hell beobachtet, geht man je nach Typ sehr unterschiedlich mit dieser - bei einigen unbeliebten, von anderen herbeigesehnten - Aufgabe um.

Da steckt man mitten drin in seinem Einzel, langsam geht es in die entscheidende Phase, Satzball – da schallt es plötzlich lautstark durch die Halle: „Training bitte einstellen!“ Klar, im zweiten Teil der Halle beginnt nun endlich – nach einer doppelt so langen Aufwärm- und Einspielphase wie bei den Normalsterblichen – auch für die erste Mannschaft aus der Bezirksliga ihr Punktspiel. Und deren Mannschaftsführer fordert immer wie selbstverständlich die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden ein. So unterbricht man wohl oder übel das eigene Match und lauscht seinen Ausführungen, wobei es natürlich große Unterschiede beim Vortrag gibt.

Vom harten Horst und knarzenden Karl

Da wäre zum einen der Routinier genannt. Er ist seit 27 Jahren Mannschaftsführer und hat in dieser Zeit bereits unzählige Begrüßungsreden gehalten. Ihn bringt folglich nichts mehr aus der Ruhe, geduldig wartet er, bis Bernd aufhört, in seiner Tasche zu wühlen, bis der Jugendliche zum dritten Mal seinen Schläger geputzt hat und bis sich auch wirklich alle Gegner im Halbkreis um ihn aufgestellt und das Tuscheln eingestellt haben. Dann liest er in Seelenruhe die Aufstellungen sowie die ersten Spielpaarungen vor, deutet auf die beiden Spielplatten, wünscht „faire und spannende Spiele“ und dass – haha! – natürlich der Bessere gewinnen möge. Den einsetzenden, überschaubaren Applaus nimmt er nur peripher wahr, legt den Spielberichtsblock zur Seite, greift sich seinen Schläger und tritt an den Tisch. Es kann losgehen!

Ganz anders der Entertainer unter den Spielführern. Er genießt die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden, schließlich steht er gerne im Mittelpunkt. Und da seine Frau nach 15 Jahren Ehe inzwischen bei seinen Witzchen noch nicht einmal mehr müde lächeln kann, ist nun genau der richtige Zeitpunkt dafür. Kein Namenswitz zu flach und keine Selbstverständlichkeit zu bekannt, um nicht erwähnt zu werden. Alle Spieler werden einzeln vorgestellt und ihre bisherige Saisonbilanz kurz besprochen. Außerdem werden die Spitznamen der Spieltische erwähnt („das sind der harte Horst sowie der knarzende Karl“). Der Entertainer vergisst nie, wirklich nie, zu erwähnen, dass man es nicht zu lange machen solle: Schließlich hätten alle Durst und die etwas trockene Pizza gibt es in der Wirtschaft auch nur bis 22 Uhr für 5 Euro. Schließlich meint er: „Die bessere Mannschaft ist mir eigentlich egal, Hauptsache wir gewinnen!“ Ein launiges „Mögen die Spiele beginnen!“ beendet die Mario Barth-hafte Prozedur für alle Umstehenden, denn nach 14 Jahren in derselben Liga hat man jeden Witz schon viel zu oft gehört und die ganze Rede fühlt sich an wie ein langes, unangenehmes Déjà-vu.

Zu spärlicher Applaus für Businesskasper

Im krassen Gegensatz dazu steht das Mauerblümchen. Ihm ist es sichtlich unangenehm, vor Leuten zu sprechen, daher hatte er sich auch vor der Saison mit Händen und Füßen gewehrt, Mannschaftsführer zu werden. Leider hatte von den Mitspielern nun wirklich keiner zeitliche Kapazitäten mehr frei und irgendwie ist er es dann eben doch geworden. Nun fokussiert er sich mit starrem Blick auf den umklammerten Spielberichtsbogen und murmelt die Aufstellung ohne Punkt und Komma in seinen nicht vorhandenen Bart. Schnell noch schöne Spiele gewünscht – geschafft! Handgestoppte 43 Sekunden, offenbar ein neuer Rekord.

Der Businesskasper wiederum hält keine Begrüßungsrede, er hält eine Präsentation: Immer wieder möchte er auf „die nächste Folie“ verweisen statt auf Tisch zwei, er hofft, dass man im Doppel „Synergien heben“ kann und bezeichnet die ersten Einzel dann als die „nächsten Milestones“ des Punktspiels. Ab und zu zückt er sogar seinen Laserpointer und dreht sich zur Wand hinter ihm – bis er merkt, dass er in einer miefigen Turnhalle statt eines schnieken Besprechungsraums steht. Nichtsdestotrotz zieht er einen Tagesordnungspunkt nach dem anderen gnadenlos durch, ohne Rücksicht auf etwaige Einwürfe der Meeting Participants („sprich doch mal deutsch!“) näher einzugehen. Allerdings ist er etwas enttäuscht, dass das Delegieren von Aufgaben miserabel bis gar nicht funktioniert, da Ernst sich mit seiner künstlichen Hüfte einfach nicht in der Lage sieht, noch eine weitere Platte aus dem Geräteraum zu holen. Das Meeting-Protokoll will auch keiner schreiben und besonders der Applaus fällt für den Geschmack des Businessfuzzis etwas spärlich aus.

„Mach doch du!“

Bleibt noch der abwesende Mannschaftsführer zu erwähnen. Er kann heute leider selbst nicht antreten (Geburtstag der Frau, Abifeier der Tochter oder Jahreshauptversammlung im Kaninchenzüchterverein – wer weiß das schon?) und hat daher einen Ersatzspieler organisiert. Allerdings muss nun auch jemand anderes die Begrüßungsrede halten und da wurde niemand benannt: So reichen sechs gestandene erwachsene Männer beschämt den Spielblock so lange reihum („Mach doch du!“ – „Ne, hab ich heute so ein Kratzen im Hals.“), bis kurzerhand der Mitläufer der Mannschaft mit Block in der Hand und knallroten Wangen nach vorne geschoben wird. Diese bemitleidenswerte Gestalt scheint wirklich noch nie eine Begrüßungsrede gehalten zu haben. Viel bemerkenswerter: Offenkundig war er auch noch nie bei einer anwesend! Hilfesuchend blickt er sich immer wieder zu seinen Mitspielern um, denn weder ist ihm das Spielsystem bekannt, noch kann er unfallfrei die Konsonanten-lastigen Namen seiner osteuropäischen Mitspieler vorlesen, noch weiß er, dass man zuerst die Aufstellung des Gegners vorliest und erst zum Schluss allen gute Spiele wünscht. Alle Anwesenden sind erleichtert, wenn die peinliche Vorstellung endlich vorüber ist. Hoffentlich ist nächste Woche der Captain wieder dabei!

(Philipp Hell)

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