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Jans Blog: Ein Blick zurück nach vorn

Olympia-Fahrern wie Bastian Steger (l.) gab Jörg Roßkopf eine WM-Startplatzgarantie (©Fabig)

06.02.2017 - Vier der sechs Startplätze der deutschen Herren bei der Heim-WM in Düsseldorf (29.05.-05.06.) sind bereits vergeben, sie gehen an die Olympia-Fahrer Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Bastian Steger und Patrick Franziska. Um den fünften Startplatz streiten sich in einem internen Auswahlverfahren Benedikt Duda, Ricardo Walther, Ruwen Filus, Steffen Mengel, Patrick Baum und Dang Qiu, während der sechste vom Bundestrainer selbst vergeben wird. Warum das Auswahlverfahren Sinn macht – vor allem im Hinblick auf die Post-Boll-Ära –, erklärt Jan Lüke in seinem Blog.

Jörg Roßkopfs Aufgabe als deutscher Herren-Bundestrainer ist gleichsam dankbar wie undankbar. Dankbar ist sie, weil ihm noch immer ein Kader zur Verfügung steht, der in der Geschichte des deutschen Tischtennis selten besser gewesen ist. Undankbar ist sie aus demselben Grund. Denn der Tag wird kommen, an dem ihm dieser starke Kader nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Und dieser Tag rückt näher.

Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Bastian Steger sind weiterhin europäische und weltweite Spitze. Ovtcharov wird am Ende des laufenden Olympia-Zyklus‘ fast 32 Jahre sein und sein Niveau vermutlich bestätigen können. Timo Boll und Bastian Steger bringen es dann allerdings auf 39 Lenze. Nicht gemeinsam, sondern jeweils. Es ist damit zwar nicht sicher, aber dennoch wahrscheinlich, dass das Olympia-Aufgebot von Rio 2016 nicht dem von Tokio 2020 entsprechen wird, nachdem das Trio im vergangenen Sommer noch einmal groß auftrumpfte, als es darauf ankam.

Roßkopfs Aufgabe besteht nun darin, die Gegenwart so erfolgreich wie möglich zu gestalten, dabei gleichzeitig aber die Zukunft zu gestalten. Er muss früher oder später einen Übergang modellieren und moderieren, der keinen tiefen Bruch in der Leistungskurve seiner Mannschaft darstellt. Auf Ausnahmekönner vom Kaliber eines Ovtcharovs oder Bolls wird der Bundestrainer dabei nicht zurückgreifen können. Die sind gerade nicht in Sicht. Auch die nachfolgenden Spielergenerationen sind gut – aber noch nicht gut genug für die über die Jahre gestiegenen Ansprüche der deutschen Tischtennis-Männer, die immerhin drei olympische Medaillen in Folge gewannen. Roßkopf und der DTTB werden Spieler entwickeln und an dieses Niveau heranführen wollen.

Dass Roßkopf und den Verantwortlichen des DTTB diese Problematik überaus bewusst ist, zeigten sie nun einmal mehr mit ihrem Nominierungsverfahren für die anstehende Heim-WM in Düsseldorf, über das Roßkopf mit myTischtennis.de sprach. Das Vorgehen ist meiner Meinung nach aus verschiedenen Gründen bemerkenswert:

  • Roßkopf verbaut niemandem, dem er perspektivisch den Sprung in die vorderste Linie seines Kaders zutraut, den Weg dorthin. Damit sind nicht nur die mittlerweile etablierten Ruwen Filus, Steffen Mengel, Ricardo Walther, Patrick Baum oder Benedikt Duda gemeint. Auch ein Dang Qiu, jüngst bereits Länderspiel-Debütant, ist mit im Topf der gleichberechtigten Bewerber. Genauso wie es Kilian Ort gewesen wäre, wenn ihn eine Verletzung nicht frühzeitig um seine Chancen im Nominierungswettstreit gebracht hätte. Damit signalisiert Roßkopf auch Jungprofis wie Qiu und Ort, dass es mehr als ein Lippenbekenntnis ist, wenn der DTTB davon spricht, dass sich ihnen eine Perspektive bietet. Rein aus sportlicher Sicht müsste Roßkopf ihnen diese Chancengleichheit mit verdienten Akteuren wie Filus oder Mengel nicht gewähren. Dass er es doch tut, ist ein Fingerzeig dahingehend, dass sie eine Zukunft im DTTB-Dress haben. Damit ist Roßkopf im Übrigen schon einmal gut gefahren: 2013 schlug Benedikt Duda den damals etablierten Nationalspielern ein Schnippchen und sicherte sich in einem internen Qualifikationsturnier unerwartet einen EM-Startplatz. Heute zählt der Bergneustädter zur erweiterten Weltspitze und ist ein Mann, auf den der DTTB setzt. Wer weiß, ob es anders gekommen wäre, wenn man Duda damals nicht den Glauben vermittelt hätte, dass es einzig in seiner Hand liegt, wie weit er es im Nationaltrikot wird bringen können.
     
  • Gleichzeitig zeigt Roßkopf mit seiner Maßnahme allerdings auch, dass er den Olympia-Startern einen gewissen Kredit billigt. Der jedoch ist weit mehr als Loyalität zu seinen Veteranen, denen er blind die Treue hält. Roßkopf wusste, dass es gerade den in die Jahre gekommenen Boll und Steger nach einer harten Olympia-Vorbereitung und einer langen Saison unter permanenter Hochspannung nur schwerlich möglich sein würde, in gleicher Intensität ins neue Spieljahr zu gehen. Dem hat Roßkopf Rechnung getragen – und das Trio abgehoben vom Rest seiner Equipe. Ovtcharov und Boll, aber auch der noch angeschlagene Steger können sich individueller und vor allem ohne Druck in die richtige Form für den Saisonhöhepunkt gießen. Druck hatten sie zuletzt ohnehin genug. Sie werden es Roßkopf danken.
     
  • Apropos: Druck und Intensität. Die hält Roßkopf zu guter Letzt für alle anderen Nationalspieler hoch. Dadurch, dass Roßkopf viele Wettkämpfe über einen langen Zeitraum in die Wertung mit einfließen lässt, pusht er seine Akteure. Dabei wiederum scheint Roßkopf seine Lehren aus einzelnen Nominierungsturnieren gezogen zu haben, wie Duda 2013 eines gewonnen hat und wie es auch die Chinesen über lange Jahre praktizierten. Roßkopf befeuert damit die Entwicklung seiner Spieler über eine gesamte Saison – auch die Entwicklung derer, die in Düsseldorf vielleicht noch enttäuscht auf der Tribüne sitzen müssen, aber schon bald gebraucht werden könnten.

Natürlich ist die Wahl des Nominierungsverfahrens allein kein Heilsbringer. Sie garantiert weder eine erfolgreiche Heim-WM und noch weniger einen unbeschadeten Übergang in die Post-Boll-Ära. Eines aber zeigt das Vorgehen: dass Roßkopf und der DTTB gewissenhaft an dieser sehr schwierigen Aufgabe arbeiten.

(Jan Lüke)

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