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Der Phasendrescher: Charakterstudie zwischen den Sätzen

Seitenwechsel ist nicht gleich Seitenwechsel! (©Koch/Laven)

26.09.2016 - Unser Phasendrescher Philipp Hell zerlegt nicht nur ein typisches Amateurspiel in seine Einzelteile, sondern analysiert auch gerne das Verhalten seiner Mitspieler und Gegner während dieser Phasen. Denn gewisse Verhaltensweisen tauchen einfach immer wieder auf, wie Sie sicher auch feststellen werden. In seinem heutigen Blog schaut er auf die Zeit zwischen den Sätzen und beleuchtet den Seitenwechsel und das Coaching der Teamkameraden.

Kaum ist ein Satz vorbei, steht schon der Seitenwechsel an. Äußerst interessant sind hierbei einmal mehr die verschiedenen Spielertypen, welche den eigentlich so simpel erscheinenden Gang an der Platte vorbei überaus unterschiedlich vollziehen:

  • Die Testosteron-Bolzen, die mit stolzgeschwellter Brust nach ihrem Satzgewinn so knapp wie möglich am Gegner vorbeigehen und ihn dabei ununterbrochen mit weit geöffneten Augen fixieren. Ein kurzes Anrempeln ist dabei immer drin.
  • Die betreten zu Boden Blickenden, beschämt über den üblen Netzball und den darauffolgenden dreckigen Kantenball, welche erst zum Satzgewinn geführt haben.
  • Die noch betretener zu Boden Blickenden, die gerade einen noch tieferen Tiefpunkt ihrer an Tiefpunkten reichen Kreisliga-Karriere erleben mussten. 
  • Die schelmisch Grinsenden, die gerade einem übermächtigen Gegner einen nicht erwarteten Satzverlust zugefügt haben.
  • Die Ausweicher, die niemals auf derselben Seite wie ihr Kontrahent am Tisch vorbeigehen.
  • Die vollorganisierten Sammler, die Trainingsjacke, Trinkflasche, Handtuch und Ball auflesen, bevor sie sich auf den langen Weg auf die andere Seite machen, wo sie ihre Utensilien zunächst wieder verstauen müssen.
  • Die nervösen Angstpinkler, die gar nicht erst die Seite tauschen, sondern sofort im Vollsprint aufs stille Örtchen verschwinden.
  • Die aggressiven Verlierer, die nach dem bitteren und in seiner Höhe zu hoch ausgefallenen 2:11 zunächst noch dem Tisch einen kräftigen Tritt verpassen, bevor sie wutschnaubend auf die andere Seite stapfen.
  • Die lautstarken Flucher, die ihrem Gegner neben der Platte dreimal in die Quere kommend Zeter und Mordio rufen und von ihren Mannschaftskollegen bereits eifrig zur Satzanalyse herbeigerufen werden.

Denn das Pausenprogramm besteht anders als im Fußballstadion nicht aus der Beschallung mit seichtestem Synthie-Pop, sondern aus dem zugetextet Werden diverser taktisch ambitionierter Mitspieler. Hier gilt es nun, grundverschiedene Coaching-Typen zu unterscheiden.

  • Leider trifft man ihn viel zu selten an: den begnadeten Beobachter und Hinweisgeber. Er hat wirklich ein Auge dafür, was im vergangenen Satz schiefgelaufen ist. Zwar könnte er es selber technisch nicht umsetzen, doch seinen Kollegen kann er wirklich ein paar Kniffe und Tricks nennen. Da hat sich der vom Verein finanzierte Erwerb der F-Trainerlizenz wirklich bezahlt gemacht.
  • Häufiger anzutreffen sind hingegen die – zumeist jungen – Besserwisser. Ganz klar, hier und heute muss man offensiv an die Sache rangehen, gerade der Rückhandblock des Gegners sei eine Schande, man solle doch sein Herz und das Heft des Handelns endlich in die Hand nehmen. Da steht er nun da, der so beratene Mannschaftssenior mit seinen langen Noppen und seinem kurzen Anti, mit denen er seit 40 Jahren knallhartes Verteidigungstischtennis spielt, und fragt sich erstens, was nun wirklich zu tun ist, und zweitens, ob sein Mitspieler noch alle Latten am Zaun hat.
  • Wäre mal lieber der genauso maulfaule wie gleichgültige Ersatzspieler erschienen, denn der gibt wenigstens gar keine Tipps. Seine Ansprache, wenn man sie denn überhaupt so nennen will, weist eine noch höhere Floskeldichte auf als die sonntägliche Fußball-Plauderrunde „Doppelpass“ auf Sport1: War doch gar nicht so schlecht bisher, konzentriert weiterspielen, nur nicht nachlassen und, ganz wichtig, sein Spiel spielen! Vielleicht den Gegner eher auf der Rückhand halten, hm, wobei, da hat er ja diesen starken Unterschnitt, dann vielleicht doch eher auf der Vorhand anspielen, gut, ja, da ist dieser Wahnsinns-Topspin, tja, also, was machen wir da!? Kurze Pause, dann ein aufmunterndes „Wird schon!“ und schon trollt er wieder ab. Setzt sich der nicht nur maul- sondern auch lauffaule Ersatzspieler nach dieser Kraftanstrengung wieder auf die Zuschauer-Bank (ca. 25cm hoch, ist noch vom Kinderturnen am Nachmittag übrig geblieben), so raunt er seinem Nebenmann zu, dass er ja eigentlich nur aus psychologischen Erwägungen zu seinem Mitspieler gegangen ist – schließlich wird dessen Gegner seit geschlagenen zehn Minuten von einem ehemaligen Regionalligaspieler intensiv gecoacht.

Manchmal kommt es gar vor, dass gleich mehrere Mitspieler auf den Aktiven einreden. Gerade in Drucksituationen (7:7 am vorletzten Spieltag im Kampf um den Aufstieg oder gar beim Relegationsspiel gegen den Abstieg) fühlen sich plötzlich sogar überzeugte Schweiger bemüßigt, dem aktuell wichtigsten Mann ein paar Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Selbstverständlich reden dabei alle gleichzeitig und durcheinander und von einer konsistenten Spielanalyse, geschweige denn technisch-taktischen Anweisungen, ist man weit entfernt. 

Doch auch das krasse Gegenteil ist nicht unbedingt beliebt. Gerade wenn man sich einen Satz lang von einem nicht gerade übermächtigen Gegner hat vorführen lassen und nun hilfesuchend um sich blickt, muss man feststellen, dass der Raucher wie üblich seit einer halben Stunde beim Rauchen ist, der Familienvater lautstark mit der pubertierenden Tochter telefoniert, der direkt von der Arbeit gekommene Workaholic schon länger auf der Toilette weilt, die Nummer 1 den Zuschauern strahlend und leidenschaftlich von seinem souveränen Erfolg im Auftakt-Einzel berichtet und der einzig verbliebene eigene Mann auf der Bank intensiv gegen Angry Birds kämpft (oder ist es doch wieder Tinder?) und daher sein Smartphone traktiert.

(Philipp Hell)

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