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Schiri-Schorsch: „Im Schiedsrichterhimmel angekommen!“

Schiri-Schorsch erinnert sich gerne an sein erstes Turnier im Behindertensport zurück (©Laven)

31.08.2015 - Unser Blogger Schiri-Schorsch hat auf seinem Weg zum Blue-Badge-Schiedsrichter schon die unterschiedlichsten Turniere und Spiele zählen dürfen. Dementsprechend überrascht war er, als er zum ersten Mal bei einer Veranstaltung im Behindertensport eingesetzt worden war und dort komplett neue Erfahrungen machen durfte. Nicht nur die Unterweisung unterschied sich vom üblichen Prozedere, vor allem der Umgang untereinander war Schiri-Schorsch nicht gewohnt.

Es gibt weitaus erfolgreichere deutsche Spielerinnen und Spieler im Tischtennis als die bekannten Größen Timo Boll oder Dimitrij Ovtcharov. Allerdings tummeln sich diese eher im Abseits der breiten Masse: im Behindertensport. Hier gibt es analog zu den bekannten Veranstaltungen auch die World Tour, eine Weltmeisterschaft oder auch die Paralympics. Meinen ersten Einsatz in diesem Bereich hatte ich bei einem World Tour-Turnier, den German Open. Die Schiedsrichterunterweisung einen Tag vor dem Start des Turniers unterschied sich schon deutlich von dem, was ich kannte. Während sonst immer auf den Ablauf des Turniers, das Recht auf eine einheitliche Regelauslegung aller Beteiligten, die gute Präsentation des Sports eingegangen wird, kamen hier ganz andere - wichtige - Punkte zur Sprache:

  • Jeder Spieler ist einer Schadensklasse zugeordnet und auch nur für diese startberechtigt.
  • Auf den Rollstuhl achten; keine zusätzlichen Gewichte zum besseren Halt zulassen; das Sitzkissen kontrollieren.
  • Zulässige Abweichungen der Aufschlagregel sind auf einer Spielerkarte vermerkt. Diese muss vor jedem Spiel dem Schiedsrichter präsent sein. Somit ändert sich die Aufschlagregel teilweise für jeden Spieler individuell.
  • Schläger sind teilweise an die Handgelenke angebunden. Nur wenige können die Schläger dadurch in der Satzpause am Tisch lassen.
  • Die grundsätzlichen Regeln zum Aufschlag für Rollstuhlfahrer und die Regelung fürs Doppel werden thematisiert.
  • Die Tische für Rollstuhlfahrer müssen es zulassen, dass man mit dem Rollstuhl auch darunter fahren kann. Die Spielboxen können auch kleiner sein, als es die Regeln vorgeben.
  • Schieben Sie alle Vorbehalte gegenüber den Sportlern mit Behinderung beiseite. Die Aktiven wollen und fordern explizit ein, dass die Schiedsrichter sie regelgerecht behandeln.

Um ehrlich zu sein: Ich habe ein Schlafbier mehr getrunken, um die Gedanken für den nächsten Tag besser zu ordnen. Am nächsten Morgen in der Halle das gewohnte Bild bei solch einem Event. Alle Spieler machen sich fit für den Wettkampf; nur dass die Aktiven teilweise im Rollstuhl sitzen oder mit einer Krücke in der Hand unterwegs sind. Mit eher gemischten Gefühlen bin ich in die Box zu meinem ersten Spiel. Freudestrahlend wurde ich von beiden Spielern empfangen: „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, um bei uns zu zählen.“ Was war das denn jetzt? So etwas habe ich zuvor noch nie gehört. Bisher war man eher „ein notwendiges Übel“, was „nur Geld kostet“. Und nun?

Dieses erste Spiel für mich als Schiedsrichter im Behindertensport war ein ganz besonderes. Ich merkte sofort, dass es mir schwer fällt, die Vorbehalte – wie eingefordert – so einfach beiseite zu schieben. Kann, darf, soll ich hier mein Mitleid mit diesen Schicksalen so einfach ausblenden? Ja, es ging mit der Unterstützung der Spieler. Schon nach kurzer Zeit kam es dazu, dass ich die Entscheidung treffen musste, ob der Ball beim Aufschlag über die Seite rausging oder nicht. Beide schauten mich fragend an. Ich entschied mich für nein, worauf der Rückschläger sofort die Position seins Rollstuhls veränderte. Keine Diskussion, kein Aufstand, keine Nachfrage. Ja, ich bin im Schiedsrichterhimmel angekommen!

Der erste Tag verging wie im Fluge. Immer wieder mussten Balljungen für das Spiel organisiert werden oder man hat selber in seiner Pause bei den Rollstuhlfahrern geholfen. Man war so tief in das Turnier eingetaucht und hat sich auch komplett darauf eingelassen, dass es ruckzuck 19:00 Uhr war. Es hat großen Spaß gemacht, da man viel mehr Teil des Ganzen war als bei „normalen“ German Open.

Während der nächsten Tage verflogen die Hemmungen immer mehr. Entscheidungen zu falschen Aufschlägen wurden fast anstandslos akzeptiert. Auch das Zeigen von gelben Karten wegen Schlägerwerfens viel mir immer leichter. Hier gab es aber immer direkt eine Entschuldigung seitens des Spielers; und zwar in meine Richtung und zum Gegenspieler. 

Die Tage vergingen schnell und die Abende waren sehr schön. Es war sehr interessant zu erfahren, was viele aus ihrem eigenen Schicksal gemacht haben; beruflich, familiär und sportlich. Mir persönlich ist eine herzliche Wärme über die gesamte Zeit entgegengekommen. Die Dankbarkeit, dass man die Sportler beim Ausüben ihres Sports unterstützt und sich dabei an allgemeingültige Regeln hält, war überwältigend. Gerne denke ich an dieses erste Turnier im Behindertensport zurück, wenn ich wieder in schier endlosen Diskussionen um Aufschläge, Entscheidungen und Rechtfertigungen mit Spielern, Betreuern oder Zuschauern stecke. An der Einstellung der Sportler mit Behinderung könnten sich viele eine große Scheibe abschneiden. ;-)

Viele Grüße vom Zählgerät! Euer Schiri-Schorsch!

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