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Jans Blog: Filus und Co. - Abwehrspieler im Aufschwung

Ruwen Filus spielte in den letzten Monaten so stark wie selten zuvor (©Roscher)

20.07.2015 - Er spielte vor allem in der zweiten Saisonhälfte so stark wie selten zuvor in seiner Karriere: Ruwen Filus. Auch wenn sein Aufschwung zu spät kam, um noch auf den WM-Zug aufzuspringen, lässt sich feststellen, dass sich der 27-Jährige womöglich auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn befindet. Warum Filus und andere Abwehrspieler allen Unkenrufen zum Trotz gerade eine kleine Renassaince erleben, erläutert Jan Lüke in seinem Blog.

Als Perspektivspieler, erst recht als Talent geht Ruwen Filus dieser Tage wahrlich nicht mehr durch. 27 Jahre hat der gebürtige Niedersachse mittlerweile auf dem Buckel, spielt seit fast zehn Jahren auf der Pro Tour und in der Bundesliga, ist etliche Male für die deutsche Nationalmannschaft aufgelaufen. Ein taufrischer Emporkömmling sieht, bei allem Respekt, doch anders aus. Und dennoch ist Filus in diesem Jahr das, was im US-amerikanischen Sport immer so kernig als „most improved player“ bezeichnet wird – als Spieler, der sich am meisten verbessert hat. Filus, der immer wieder imposante Karriere-Höhepunkte wie das EM-Viertelfinale 2009 zustande brachte, spielt so erfolgreich, weil so konstant wie nie zuvor in seiner stattlichen Karriere. Wie das kommt? Es hat wohl nicht wenig damit zu tun, was für ein Spielertyp Filus ist – ein Abwehrspieler nämlich.

Düstere Prognosen bei der Umstellung auf den Plastikball
Denen flatterten eigentlich düstere Prognosen ins Haus im vergangenen Sommer. Vor knapp einem Jahr stellte das internationale Spitzentischtennis auf Diktat des Weltverbands vom Zelluloidball auf den Plastikball um. Und schon bevor die ersten unrunden Bälle im Umlauf waren, geschweige denn die ersten wackligen Spieleindrücke mit dem Polyball gesammelt werden konnten, gab es die krudesten Theorien zur Neuordnung der Weltklasse im Tischtennis. Ganz schlecht schnitten dabei (Achtung, Wortwitz!) die Abwehrspieler ab: Der Plastikball hat nicht nur eine glattere Oberfläche, sondern ist auch größer, er nimmt somit weniger Rotation an – und Rotation ist nun einmal das Kerngeschäft des Abwehrspiels. Ergo: Der Wechsel von Zelluloid auf Plastik sollte zulasten der Chopper gehen. Nun lässt die Weltordnung im Tischtennis, die Weltrangliste, mit Blick auf die vergangenen zwölf Monate anderes vermuten: Es stehen derzeit sieben Abwehrspieler unter den besten 70 der Weltrangliste, für fünf von ihnen ging es im Vergleich zur Juli-Rangliste aus 2014, also der letzten mit Zelluloid-Spielgerät, nach oben. Für Filus (von 70 auf 32), den Japaner Yuto Muramatsu (von 44 auf 27) oder den Ungarn Adam Pattantyus (von 90 auf 65) gar erheblich. Lediglich Altmeister Chen Weixing (von 52 von 56) sowie der im Vorjahr überragende Masato Shiono (von 27 auf 53), der als einziger Defender einen Absturz erlitt, zeichnen einen Abwärtstrend.

Bei der WM in Suzhou, dem bisher bedeutendsten Turnier, das mit Plastikbällen ausgetragen wurde, standen vier Abwehrer in der Runde der besten 32. In der Bundesliga spielte Wang Xi vom TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell nach, zugegeben schwacher Hinrunde, in der Rückrunde so dominant, wie selbst der dominante Wang selten zuvor gespielt hatte. Er verlor in 16 Einzeln nur läppische 14 Sätze. Sind das alles zwar nur stark selektierte Belege ohne den Anspruch, ein Bild über die jüngste sportliche Entwicklung der gesamten abwehrenden Weltelite zu geben, so lässt sich doch zumindest feststellen, dass es den Abwehrmännern in der bisherigen Plastikball-Ära besser ergangen ist, als es viele vermutet hatten. Welche Gründe das haben könnte? Nicht leicht zu sagen. Dadurch dass der Ball, wenngleich im Mikrometer-Bereich, größer geworden ist, könnte das Spiel um Nuancen langsamer geworden sein – um dem reagierenden Abwehrspieler minimal mehr Zeit für seine Schläge zu geben. Dadurch dass der Ball weniger Rotation annimmt und höher abspringt, könnten die für das Abwehrspiel so wichtigen Konterattacken mit Vorhand-Gegentopspins leichter geworden sein. Oder die Abwehrspieler leben schlichtweg von einer leicht erhöhten Fehlerquote der Angreifer, die bei ihrem Angriffsspiel mehr Risiko nehmen müssen und denen die Umstellung deshalb schwieriger fällt.

Persönliche Bestmarke in der Weltrangliste
Aber kommen wir zurück zu Ruwen Filus. Auch der scheint ein Günstling dieses Trends zu sein. In der Weltrangliste ist er auf seinem Karriere-Höchststand notiert und auf dem Sprung unter die besten 30 Spieler der Welt. In der Bundesliga spielte er so stark wie nie. Nach einer konstanten regulären Saison, in der Filus fast durchweg am Spitzenpaarkreuz zum Einsatz kam, hievte Filus seinen Klub Fulda-Maberzell mit überragenden Leistungen im Play-Off-Halbfinale gegen den TTC Zugbrücke Grenzau fast allein ins Endspiel. Bei den German Open wurde er erst im Viertelfinale von Dimitrij Ovtcharov, bei den Deutschen Meisterschaften erst im Endspiel von Timo Boll gestoppt – und beide Male äußerst knapp. Es scheint, als sei Filus derzeit mehr als nur Nutznießer eines positiven Trends des Segments ‚Abwehrspieler‘ auf dem Tischtennis-Weltmarkt, sondern vielmehr auch im besten Alter, um diesen Trend zu prägen. Es gilt die Faustregel, dass Abwehrspieler ihr Leistungspiek um einige Jahre später erreichen als Angriffsspieler. Die Gründe dafür sind simpel – und doch so komplex: Abwehrspieler müssen zum einen mehr Schläge und zum anderen eine bessere Schlagauswahl lernen, um ihr Spielsystem zusammenzubekommen, das viele von ihnen auch noch mit einem Noppenbelag und einem glatten Belag spielen. Eigentlich müssen sie gar zwei Spielsysteme lernen: Das eines Angreifers, der wie Filus sowohl mit der Vorhand als auch mit der Rückhand zum Angriff blasen kann – und das eines Abwehrers, der Unterschnittabwehr genauso beherrscht wie gefischte Oberschnittabwehr oder Ballonabwehr. Bei Filus scheinen sich diese Spielelemente besser und besser zusammenzufügen. Er spielt stabiler, produziert weniger Fehler in Abwehr und Angriff – und hat sich damit zu einem Vorreiter der derzeit stark aufkommenden Abwehrer-Branche aufgeschwungen.

Dass die Zukunft des Tischtennis‘ nach wie vor auch im Abwehrspiel liegt, scheint übrigens nicht nur der chinesische Verband erkannt zu haben, der seit Jahren Abwehrspieler wie Hou Yingchao, Liu Yi, Chen Xin oder Ma Te in seinen Kadern fördern, wenngleich diese es nicht in die vorderste Riege geschafft haben, sondern eher als Sparringspartner der Superstars fungieren. Auch beim DTTB stehen mit Jonah Schlie und Balász Hutter wieder zwei Defensivmänner weit oben in der Nachwuchsförderung. Die U-18-Spieler sind C-Kader-Mitglieder und waren gerade für die deutsche Nationalmannschaft der Jugend bei der EM in Bratislava aktiv. Ihr Ansprechpartner in Sachen ‚Abwehrspiel‘ hat das Defensiv-Duo in den Nationalkadern meist ganz in der Nähe – und Ruwen Filus könnte ihnen dieser Tage auch mit viel Überzeugung verkaufen, dass sie damit einen ziemlich guten Weg eingeschlagen haben.

(Jan Lüke)

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