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Jans Blog: Früher Ruhestand im Reich der Mitte

Zarte 32, aber schon im internationalen Ruhestand: Wang Hao (©Roscher)

26.01.2015 - Am Ende des vergangenen Jahres musste sich der internationale Tischtennissport von einem weiteren ganz Großen seines Fachs, von Wang Hao, verabschieden. Und das, obwohl er gerade einmal 32 Jahre alt ist. Unser freier Redakteur Jan Lüke verfolgt diese Entwicklung mit besonders großem Interesse, da auch er bald in das für Chinesen kritische Alter kommt und damit eigentlich langsam über sein Karriereende nachdenken müsste.

Erst Wang Liqin. Dann Ma Lin. Und schließlich im vergangenen Dezember auch noch Wang Hao. Die prägenden Spieler der späten 90er- und 00er-Jahre sind nun Geschichte – zumindest im Sinne des internationalen Hochleistungssports. Das Trio spielt nämlich nicht mehr für die chinesische Nationalmannschaft, womit es in Zukunft davon ausgeschlossen ist, die höchsten Weihen seiner Profession zu erreichen, für die es über Jahre ein Abonnement zu haben schien. Für manch einen wäre zwar auch eine chinesische Mannschaftsmeisterschaft in der Super League was Vorzeigbares, auf den Briefkopf von Wang, Wang und Ma wird es die allerdings wohl kaum schaffen. Der Rücktritt der bis hierher vielleicht besten chinesischen Spieler-Generation aller Zeiten, ihre Nachfolger einmal ausgeschlossen, mag auf der einen Seite überraschend sein – auf der anderen Seite kommt er dennoch nicht unerwartet.

Ruhestand für junge Hüpfer

Überraschend deshalb, weil die drei ehemaligen Dominatoren des Welt-Tischtennis‘ vermutlich allesamt noch einige Jahre Weltspitze im Tank gehabt hätten. Wang Liqin (heute 36) erklärte sein Ausscheiden aus dem Drachen-Trikot mit 35, Ma Lin (heute 34) mit 33, Wang Hao ist gerade gar erst 32 geworden. Zwar standen alle nicht mehr im absoluten Zenit ihrer Leistungsfähigkeit, da an Wang Liqin, Ma Lin und Wang Hao aber ohnehin hohe bis überhöhte Maßstäbe angelegt werden konnten, hätte sich das Trio problemlos noch eine ganze Weile in den Top 10 halten können. Und überhaupt: In der Weltspitze wimmelt es noch immer von Spielern jenseits der 30. Die waren zwar alle einstmals besser als heute. Nur: Deshalb sind sie ja noch lange nicht schlecht und vor allem zu schlecht für ihre jungen Herausforderer. Gerade in der europäischen Elite sind etliche Akteure jenseits des Alters, in dem die Super-Chinesen nun in den Ruhestand gegangen sind. Beispiele gefällig? Boll zählt 33 Lenze, Samsonov 38, Gionis 35, Gardos 36, Steger 33, Maze 33, Crisan 34. Ans baldige Karriereende denkt da vermutlich noch nicht mal der körperlich arg geschundene Maze.

Nun verhält es sich mit den Chinesen aber traditionell anders. Schon oft war die Halbwertzeit der besten Spieler aus dem Reich der Mitte auf internationalem Parkett eine deutlich kürzere als die aller übrigen Athleten. Kong Linghui und Liu Guoliang, quasi die Vorgänger von Wang Liqin, Ma Lin und Wang Hao in den 90er-Jahren, übergaben den Staffelstab noch früher an den Nachwuchs. Kong war gerade 31 Jahre alt, Liu gar erst 26. Zum Vergleich: Liu ist gerade mal ein Jahr älter als Vladimir Samsonov. Nur mit dem nicht unwesentlichen Unterschied, dass Liu schon seit mehr als einem Jahrzehnt atemberaubend erfolgreich die chinesische Herren-Nationalmannschaft als Trainer voranbringt – und seitdem den Schläger nur noch zu Vorführ-Zwecken in die Hand nimmt. Nicht anders sah es wiederum bei den sportlichen Vorfahren Kings und Lius aus. Auch Guo Yuehua und Jiang Jialiang, die beiden großen Chinesen der 80er-Jahre, die gemeinsam vier aufeinander folgende Weltmeistertitel im Einzel gewannen, beendeten ihre internationale Laufbahn vor dem 30. Lebensjahr. 

Früher Anfang - frühes Ende

Aber wie kommt das? Woran liegt es, dass Chinas Beste derart früh aus dem höchsten Wettkampfsport ausscheiden oder aussteigen? Eins ist klar: Zufall ist das keiner. Meiner Meinung nach gibt es sogar gleich mehrere gute Gründe. Einer liegt sicherlich in der speziellen Sportlerbiographie der besten Chinesen. Die trainieren schon in jungen Jahren extreme Umfänge, im Kindesalter weit mehr als das, was mancher ausgewachsene Profi in anderen Ländern an Trainingseinheiten abreißt. Dementsprechend früher erreichen die Chinesen ihr Leistungshoch. Schon oft sind sie mit 20 oder Anfang 20 auf höchstem Niveau wettkampffähig – wie man derzeit wieder an Fan Zhendong sieht. Die Dauer ihrer hochleistungssportlichen Karriere verlängert sich allerdings nicht automatisch. Die beginnt früher – aber endet demzufolge auch früher. Die Chinesen geraten früher an ihre körperlichen Grenzen. Genauso wie lange Verletzungs- und damit Belastungspausen die Karriere eines Hochleistungssportlers eventuell verlängern können, hinterlassen viele Trainingsstunden eben auch viele Spuren bei einem Spitzenathleten – auf der einen Seite physisch, auf der anderen Seite aber natürlich auch psychisch. Zumal im chinesischen Tischtennis nicht nur die Umfänge, sondern wohl auch die Intensität und der Druck ihres Gleichen suchen.

Doch es gibt noch einen ganz anderen Grund, der China erlaubt, seine verdienten Nationalspieler früh in Rente zu schicken. Sie brauchen sie schlichtweg nicht mehr zwingend. Das chinesische Tischtennis ist das einzige in der Welt, vielleicht in Ansätzen gemeinsam mit dem deutschen, dass dermaßen konstant Nachschub an gleichwertigen Spielern produziert, dass sich die Akteure nach ihrem Leistungszenit nicht mehr länger im Nationalteam halten – halten dürfen oder halten müssen. Im Falle von Wang Liqin, Ma Lin und Wang Hao sah das so aus: Die nächste Generation war längst vorbeigezogen und hatte die Spitze übernommen, die übernächste hatte zumindest schon den Blinker zum Überholen gesetzt. Wang Liqin, Ma Lin und Wang Hao waren, ohne dass das despektierlich klingt bei derart großen Champions, ersetzbar geworden.

Kein Verlust spürbar

Während es anderswo eine kratergroße Lücke reißt, wenn über Jahre dominierende Athleten ihren Rücktritt erklären, geht es bei Chinas Herren einfach weiter: andere Namen, gleiche Erfolge. Die Übergänge werden dabei geschickt gestaltet: Die nachfolgende Generation wird früh auf Wettkämpfe auf höchstem Niveau herangeführt. Bevor sie übernehmen muss - anders ist der Zwang zu Titeln in China ja nicht zu benennen -, darf sie sich erst mal am Gewinnen probieren: Und zwar erst World-Tour-Turniere spielen und gewinnen, dann Weltmeisterschaften spielen und im besten Fall auch gewinnen. Das Paradebeispiel dafür lieferte Zhang Jike. Er wurde erstmals Weltmeister, als seine Vorgänger noch mit von der Partie waren. Er sammelte somit die unersetzliche Erfahrung, ein WM-Halbfinale oder -Finale zu bestreiten. Und China hatte längst einen neuen Spieler, der wusste, wie große Titel gewonnen werden, als die alten Champions in den Ruhestand weiterzogen. Diese Erfahrung dürfte dazu beigetragen haben, dass sich Zhang auch die beiden folgenden großen Titel eingeheimst hat und Olympiasieger sowie abermals Weltmeister wurde. Doch eher früher als später wird auch Zhang diese Entwicklung zum Verhängnis werden: Fan Zhendong, Jugend-Weltmeister Yu Ziyang oder Liang Jingkun werden ihre Ansprüche auf die sportliche Machtübernahme schon geltend machen. Und dann nehmen die Dinge ihren Lauf.

Die zehn besten Ballwechsel in Wang Haos internationaler Karriere sehen Sie hier!

(Jan Lüke)

 

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