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Jans Blog: Unerlässliches Kräftemessen mit China

Im Mannschafts-WM-Finale musste sich Dimitrij Ovtcharov Ma Long geschlagen geben (©ITTF)

20.10.2014 - Am Wochenende werden sich Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll beim World Cup in Düsseldorf mit den Besten der Besten messen. Denn neben den beiden gehen mit Ma Long und dem Weltmeister und Olympiasieger Zhang Jike auch zwei der besten Chinesen, an den Start. Wie wichtig die Vergleiche mit den Topchinesen für Deutschlands Nummer eins, Dimitrij Ovtcharov, sind, darauf geht Jan Lüke in seinem heutigen Blog ein!

Es waren – natürlich in dicken Anführungsstrichen – nur die German Open. 2010 nämlich, in Berlin. Dimitrij Ovtcharov traf an einem der Ecktische in der Runde der letzten 16 auf Xu Xin, damals noch nicht in der ersten Riege der Chinesen, aber mit einem vorgezeichneten Weg dorthin. Und in ebenjenem Spiel fightete und schrie, flippte und topspinnte Ovtcharov, als wäre es nicht weniger als das größte seiner Karriere. Ovtcharov spielte im tiefsten Wettkampf-Tunnel. Schon damals, als auch Ovtcharov noch einige tausend Sätze von Weltranglistenplatz vier entfernt gewesen war, spürte man als Zuschauer in der Max-Schmeling-Halle merklich, wie wichtig ihm dieses Match war. Denn es ging für Ovtcharov nicht nur um die nächste Runde bei den German Open – sondern darum, unersetzliche Wettkampferfahrung gegen einen der Besten der Welt zu sammeln. 


Kein Risiko, sondern längst eine Chance

Es klingt wie eine einfache Formel, die überall und immer im Leistungssport zu greifen scheint: Wenn man der Beste werden möchte, muss man sich mit den Besten messen. Das ist im Tischtennis nicht anders als überall sonst im Sport. Kein Balleimertraining der Welt hat denselben Effekt, keine regelmäßige oder unregelmäßige Übung, kein Aufschlagtraining und keine Koordinationsleiter. Wenn Ovtcharov so gut werden möchte wie die Chinesen, dann muss er gegen sie spielen. So oft es eben geht, so konzentriert es eben geht, so motiviert es eben geht – und am besten auch so erfolgreich es eben geht. So war es damals in Berlin – und so wird es für Deutschlands Nummer eins auch am kommenden Wochenende sein: Beim World Cup in Düsseldorf in wenigen Tagen gastiert auch die chinesische Elite. Die ist für Ovtcharov kein Risiko, sondern längst eine Chance, um sich weiter zu verbessern. Ovtcharov möchte und muss sich so oft es geht mit den Top-Chinesen messen, um sie irgendwann schlagen zu können. Er braucht und sucht die großen Wettkämpfe gegen die ganz großen Spieler. 

 

Dabei kann und muss man wirklich genau davon sprechen: von einer Suche. Die Möglichkeiten, die Besten der Besten zu testen, kommen auch für einen wie Ovtcharov nicht wöchentlich, nicht einmal monatlich. Sie kommen ganz selten im Wettkampfjahr – und sie müssen sorgfältig geplant sein. Deshalb wird der World Cup für Ovtcharov einen hohen Wert besitzen. Eben nicht nur, weil er ihn sicherlich gerne vor heimischer Kulisse gewinnen würde, sondern auch, um einmal mehr zu wissen, wo er im Vergleich zu den Chinesen steht, wo es hapert und hakt, um gegen Zhang Jike und Ma Long, die beiden Starter für das Reich der Mitte, bestehen zu können.

Chinesen werden den World Cup ernst nehmen

Deshalb war für Ovtcharov der neuerliche Aufenthalt in China mit allen Top-Level-Spielen in der Super League so sinnvoll. Derartiges Wettkampfniveau, obendrein umrandet von exzellentem Training, bekommt er in dieser komprimierten Version sonst nirgends. Und deshalb ist für ihn der World Cup so wertvoll: Denn den werden die Chinesen in Person ihrer derzeit wohl besten Spieler ernst nehmen bis in die letzte Haarspitze. Der Titel beim World Cup gehört zu den Titeln, die auch die Chinesen wirklich mit aller Macht gewinnen wollen. Bei so manchem Turnier der Weltserie, bei dem Zhang Jike in der Vergangenheit schon mal die lustlose Diva mimte oder Wang Hao mit dem einen oder anderen Zusatzkilo angereist war, ist das anders. In Düsseldorf am kommenden Wochenende nicht. Dort werden die Chinesen alles in die Waagschale werfen, dort werden Zhang Jike und Ma Long in Topform aufkreuzen. Ohne Zweifel!

 

Ovtcharov hat neben allen Erfolgen im Tagesgeschäft immer den großen Karriereplan in der Tasche. Auch wenn es der sonst öffentlich nicht defensive Ovtcharov vielleicht nie in der Klarheit formulieren würde: Deutschlands Nummer eins spielt auch darum, es Werner Schlager gleich zu tun. Bei einer Einzel-WM oder den Olympischen Spielen den Chinesen einmal die lange Nase zu zeigen. Timo Boll hat das zeit seiner wahrlich imposanten Karriere – zumindest bislang, aber dabei wird es vermutlich wohl bleiben – verpasst. Bei den großen Turnieren war er zu oft verletzt, nach einer Verletzung noch nicht wieder in absoluter Topform – oder eben schlichtweg schlechter als seine immer besser werdenden Kontrahenten aus China, was keine Schande ist. Das kann sicherlich auch Ovtcharov passieren, denn das Fenster für die extragroßen Erfolge ist nur kurz und auch selten besonders weit geöffnet. Doch Ovtcharov wird alles daran setzen, es einmal aufzustoßen. Das kommende Wochenende ist dafür sicherlich ein wichtiger Schritt. Er befindet sich mit gerade 26 Jahren an Alter in einer Phase seiner Karriere, wo er mehr denn je über Wettkämpfe sein Niveau pushen kann. Dort liegen die letzten Prozente, die Ovtcharov noch rauskitzeln könnte.


Wichtige Erfahrungswerte im Wettkampf sammeln

Wie reagieren die Chinesen in den entscheidenden Situationen? Wie verhalte ich mich selbst bei Rückständen oder hohen Führungen? Welche Taktiken und Ballwege greifen, welche Schläge funktionieren in  Drucksituationen? Wann wähle ich welchen Aufschlag? All das kann sich keiner Simulation im Training unterwerfen. All das lässt sich nicht in demselben Maße gegen die Nummer 50 oder 100 der Weltrangliste durchexerzieren. Das wird Ovtcharov nur über Wettkämpfe wie in Düsseldorf verbessern können – und von denen gibt es eben nicht so sonderlich viele. 
 

Das alles soll nicht danach klingen, als könnte Ovtcharov nicht schon am Sonntag einen großen Titel in den Händen halten. Denn das ist der World Cup. Aber er ist eben kein WM-Triumph, kein Olympia-Sieg. Das alles soll auch nicht so klingen, als hätte Ovtcharov am Wochenende nur zwei Gegner aus China zu fürchten. Auch das stimmt in einem Weltklasse-Feld wie dem in Düsseldorf nicht. Aber nichtsdestotrotz ist es für Ovtcharov mitunter das wichtigste Kräftemessen des Jahres mit den Spielern, die er ziemlich sicher am allerliebsten schlagen würde. Dafür könnte ihm am Wochenende vielleicht auch eine Niederlage helfen, so denn es eine lehrreiche auf dem Weg zur nächsten Großveranstaltung wäre. Aber gegen Siege spricht natürlich auch nichts. Damals in Berlin zum Beispiel, da gewann Ovtcharov. Vielleicht war auch das nur eine Vorübung für das kommende WM-Finale.

(Jan Lüke)

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