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Lennarts Blog: Als Tischtennisexot im Surferparadies

In seinem Hostel ist Lennart Wehking längst als Tischtennisstar bekannt (©Wehking)

02.06.2014 - Lennart Wehking, Zweitligaspieler beim 1. FC Köln und freier myTT-Redakteur, tourt zur Zeit durch Australien und kann auch am anderen Ende der Welt nicht die Finger vom Schläger lassen. Seine Fähigkeiten am Tisch bringen ihm nicht nur Staunen und Bewunderung ein, sondern auch ein ansehnliches Preisgeld und kostenlose Surfstunden. Wieso Tischtennis in Australien ganz anders ist, aber trotzdem seinen eigenen Charme hat, erzählt Wehking im Blog.

Die Stimme schallt durch die leere S-Bahn und ich lausche andächtig: „Next station is Olympic Parc“. Ich bin angekommen an jener so magischen Stätte der Olympischen Spiele von 2000. Beschwingt rase ich die Treppenstufen hinauf, aus der unterirdischen Bahnstation hinaus und stehe sofort mitten auf dem imposanten Gelände. Hier irgendwo wird Tischtennis gespielt und genau dafür habe ich an diesem frühen Abend die 30-minütige Anfahrt mit der Bahn aus dem Zentrum Sydneys auf mich genommen. Sportliche Menschen, wohin ich blicke, doch die Tischtennis-Halle scheint kein hotspot zu sein, meine ersten Nachfragen führen nicht zum Erfolg. „Table Tennis?“, verdutzt blicken mich zwei lässige Skater an. „No idea. Sorry, mate.“ Doch so schlecht habe ich gar nicht gelegen – nur einen Steinwurf vom monströsen Skaterpark entfernt finde ich die Tischtennishalle, zusammen in einem Gebäude mit einer Volleyball- und einer Badmintonhalle. Rund 20 Tische stehen hier - Tag und Nacht. An diesem Donnerstagabend geht es beim traditionellen Metropolitan team pennant um Punkte, schon seit über 50 Jahren ist dieser Wettbewerb ein fester Termin im ansonsten eher rar bestückten Tischtennis-Kalender der 4,5-Millionen-Einwohner Metropole. 

Tischtennis downunder ist ein echtes Erlebnis

Gespannt betrete ich die Halle und weiß sofort: Auch hier hört der Spaß schlagartig auf, sobald bis elf gezählt wird. Zwei rüstige Mitt-50er haben sich in den Haaren, es geht um einen vermeintlichen Netzaufschlag. Ihre Mienen verfinstern sich, als ich in der benachbarten Box nach meiner vierwöchigen Sommerpause zaghaft gegen die Kugel haue und die ersten Topspinversuche des Öfteren auch auf ihrem Tisch landen. Aber was soll ich machen? In zwei Tagen will ich bei einem Einladungsturnier außerhalb von Sydney meine Urlaubskasse aufbessern, im Anschluss habe ich bei den Australian Open Großes vor. Auch 16.570 km entfernt von meiner Kölner Heimathalle kann ich nicht vom Schläger lassen. Und Tischtennis downunder ist ein echtes Erlebnis.

„Es gibt keinen offiziellen Wettkampfbetrieb in Sydney, aber dieser Donnerstagabend ist eine Art Institution geworden. Dann messen sich die sechs bis zehn in Vereinen organisierten Mannschaften“, erklärt mir Guy Fainbloom, der diesen inoffiziellen Wettkampf seit einigen Jahren organisiert – ehrenamtlich. Tischtennis hat eindeutig den Status eines 'low-profile-Sports'. Doch Dank der Zugehörigkeit zum olympischen Kanon erfährt er zumindest eine gewisse Unterstützung von staatlicher Seite. Dennoch muss jeder der rund 50 Spielerinnen und Spieler an diesem Abend zehn Dollar abdrücken - umsonst ist in Sydney nichts, auch Tischtennis nicht. Prompt soll ich mich mit einigen regionalen Talenten und sogar einem Nationalspieler aus dem Uni-Team messen und so muss ich mich ganz schön strecken bei meinem ersten Training am anderen Ende der Welt. Großartigerweise ist das Bierchen danach auch hier obligatorisch und so beantworte ich Bier für Bier gerne die auf mich einprasselnden Fragen der staunenden Aussies über das Niveau, Ansehen und die Organisation des Rückschlagspiels in meiner Heimat – es gibt viel zu erzählen, es wird ein langer Abend, mein Englisch wird immer flüssiger und ich kenne bald fast alle australischen Biersorten. 

Ein deutscher Tischtennisspieler ist fast eine Sensation

Rund 15 table-tennis-spots sind über ganz Sydney verteilt zu finden und so gestaltet sich die Suche nach der Nam Ho TT Academy am nächsten Abend als ein schwieriges Unterfangen. Zum Glück bin ich mit Dani unterwegs, einem local, dem das Hostel gehört, in dem ich untergekommen bin. Dani liebt Tischtennis, trotzdem gibt er zu: „Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo ich wann unter vernünftigen Bedingungen spielen könnte.“ Die sind ihm aber auch gar nicht so wichtig, und so zwirbelt er meist auf einem Tisch in den vielen Parkanlagen. Regen kennen die Aussies ja bekanntlich nur aus dem Fernsehen und so hat Tischtennis immerhin als outdoor-Aktivität ein gewisses Standing erlangt. Nach einigen Bällen mit mir und einem amerikanischen Kumpel verfolgt er fasziniert die kurze Einheit, die ich in dieser Tischtennis-Schule mit einem regionalen Talent absolviere. Nur einen Tag später bin ich im Hostel ein bunter Hund, denn Dani hat mich kurzerhand zum Tischtennis-Star erklärt und begrüßt mit dieser Info jeden noch so irritierten Backpacker, der sein Hostel betritt. Und das auf seine locker-direkte, so typisch australische Art. Keine Frage: Tischtennis ist hier Exotik pur, ein deutscher Tischtennisspieler fast eine Sensation. 

Diese Erkenntnis bewahrheitet sich nicht nur bei meinen späteren, revidierenden Erklärungsversuchen inmitten einer internationalen Backpackerrunde, von der nur die Hälfte überhaupt weiß, das Tischtennis als organisierter Sport existiert. Auch bei meinem ersten richtigen Wettkampf tags darauf merke ich: Mein Lieblingssport ist eine echte Rarität. Der Mounties-Club - mit einem Jahresumsatz von über 650 Millionen Euro einer der größten Clubs Australiens - hat ein internationales Einladungsturnier samt eines üppigen Preisgelds ausgerufen. Im zweiten Stock eines riesigen Konsumtempels, der größtenteils aus blinkenden, merkwürdig anmutenden Spielhallen besteht, sehe ich schon aus der Entfernung den extra verlegten roten Tischtennis-Boden aufblitzen. An insgesamt sechs Tischen wird drei Tage lang um die Dollars gekämpft, die zahlreichen, zumeist asiatischen Zuschauer, die sich für eine Zeit von den Zocker-Maschinen lösen können, sind begeistert von dem Spektakel und so kann ich eine gewisse Nervosität vor dem Finale des Events nicht leugnen. 250 wie entfesselt tosende, applaudierende und klönende Schaulustige drängen sich dicht um die Box, in jeder Satzpause beantworte ich einige Fragen der Zuschauer und bin als Fotoobjekt gefragt, während von nebenan der Sound eines riesigen einarmigen Banditen herüber dröhnt. Das nenne ich Zuschauerkontakt – gewöhnungsbedürftig, aber die ausgelassene Art und Weise der Australier, sich für Tischtennis zu begeistern, ist positiv ansteckend und so finde ich auch in diesem Tollhaus irgendwann den Fokus, kann die Mounties Open sogar für mich entscheiden und richtig Preisgeld abräumen. 

Tischtennistraining gegen Surfkurs

Nachdem ich weitere vier Tage bei den Australian Open mehr oder minder erfolgreich australisches Tischtennis-Flair geschnuppert und am wohl familiärsten ITTF-Event des Jahres teilgenommen habe, verlasse ich Sydney und platziere meinen Schläger in meinem großen Rucksack ganz weit unten. Doch nicht für lange. Im Surfer-Paradies Byron Bay stehe ich beim ersten Rundgang über das Hostel-Gelände mir nichts, dir nichts vor einem Tischtennistisch. Linker Hand der Pool, rechts der Waschsalon. Und so kann ich mich während meines ersten Waschgangs einer Rundlaufaufforderung nicht verwehren. Genauso schlecht kriege ich es hin, meine sich über Hostel-Niveau befindenden Tischtennis-Skills zu verstecken. Stürmisch wird mein Sieg über einen tätowierten US-Boy gefeiert, der den Tisch bis dato scheinbar wochenlang mit seiner Rückhandpeitsche unter Kontrolle hatte. Und so beschlagnahmt mich tags darauf eine Gruppe Kanadier den kompletten Nachmittag für ein Privattraining. Auch wenn danach nur die wenigsten der hochmotivierten Nordamerikaner den Gegenläufer mit Unterschnitt fehlerfrei einsetzen können, Tischtennis ist für einen Tag die große Attraktion. Ganz für lau habe ich die Aufschlagtricks übrigens nicht verraten: Im Gegenzug haben mich die Kanadier kurzerhand auf ein Surfbrett gestellt und mir zwei Tage lang die Basics des hiesigen Volksports erklärt. Und so paddele ich nun tagsüber (noch ziemlich kleinen) Wellen hinterher, und schlendere abends vergnügt an dem sich großer Beliebtheit erfreuenden Tischtennistisch vorbei. Tischtennis in Australien ist anders, aber hat doch seinen ganz eigenen Charme.  

(Lennart Wehking)

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