Blog

Dietmars Blog: Kleine Nationen gegen WM-Verkleinerung – eigene Vorteile im Blick

2018 fand die WM in Halmstad statt, für die Turniere 2021 und 2022 hat sich u. a. Deutschland beworben (©Thomas)

16.10.2018 - Angeführt von Malta wollen zahlreiche europäische Verbände die Zeit zurückdrehen und die WM-Reformen für mehr Professionalisierung durch schlankere Formate rückgängig gemacht sehen. Dabei greifen die vorgesehenen Veränderungen bereits erkennbar. Unser Blogger Dietmar Kramer versucht sich an einer Einordnung der Entwicklung.

Politik als Aufschlag-Rückschlag-Spiel
Tischtennis wird nicht nur in der Box gespielt. Tischtennis ist nicht selten auch (Sport-)Politik. Auf diesem Feld geht es nur im übertragenen Sinne um Punkte, wenngleich gewissermaßen ebenso wie im sportlichen Ablauf am Tisch mit Aufschlag und Rückschlag agiert und taktiert wird. Auf dem Spiel stehen in der Politik aber vor allem Einfluss, Posten, Ämter, Besitzstände, Pfründe, Macht und keinesfalls zuletzt Geld. Im Kampf um all diese vermeintlichen, in jedem Fall aber prestigeträchtigen Statussymbole gerät das große Ganze schnell und häufig aus dem Blick, weil die Beteiligten, je nach Lage nicht selten in zusammengeschmiedeten Interessensallianzen, zunächst einzig und allein auf ihre eigenen Vorteile schauen.

Malta als Vorkämpfer gegen WM-Verkleinerungen?
Vor diesem Hintergrund dürfte die Nachricht einzuordnen sein, die mehrere Tage nach den Europameisterschaften in Alicante aufhorchen ließ: Der ETTU-Kongress hat auf Antrag von Malta das Präsidium des Europa-Verbandes mit großer Mehrheit beauftragt, beim Weltverband ITTF für eine Vergrößerung des Teilnehmerfeldes bei Mannschafts-Weltmeisterschaften auf 96 statt der derzeitigen 72 und ab 2022 geplanten 32 Teams einzutreten.

Malta also macht sich zur Speerspitze einer – in ihrer Größe offenbar nicht zu unterschätzenden – Gruppe von kritischen Geistern gegenüber dem durchaus als straff einzustufenden Reformkurs der ITTF. Malta, die Mittelmeer-Insel mit nicht einmal 500.000 Einwohnern und damit einer deutlich geringeren Bevölkerung als die Zahl registrierter Mitglieder beim Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB). Nun soll und kann dieser quantitative Vergleich mitnichten eine Relation zum inhaltlichen Gehalt von Maltas Vorstoß schaffen – aber dennoch zur Bewertung beitragen: Ginge es schließlich nach Vanuatu, würde der südpazifische Inselstaat auch bei der Fußball-Weltmeisterschaft mitspielen dürfen.

Und hier kommt die Politik ins Spiel: Natürlich sind Malta und seine „Gefolgschaft“ – in Alicante stimmten lediglich der DTTB, Frankreich und ganze acht weitere Verbände gegen den Antrag der Malteser – nicht so blauäugig zu glauben, dass die ITTF von ihrem gerade erst im vergangenen Frühjahr in Angriff genommenen Modernisierungskurs abweicht oder gar eine Kehrtwende um tatsächlich 180 Grad vollzieht. Es sollte aber niemand auch so naiv sein anzunehmen, dass die Malta-Gruppe lediglich mit hehren Absichten ihren nationalen Aktiven auch für die Zukunft die Teilnahme am „WM-Erlebnis“ in einer der tieferklassigeren Divisionen sichern möchte. 

Alicante als Signal an die ITTF
Nein, der Beschluss von Alicante ist vielmehr eine deutliche Warnung an die ITTF-Führung. Die Botschaft hinter dem formalen Wunsch nach einem größeren WM-Teilnehmerfeld lautet nämlich, dass jeder der beteiligten Verbände mit seiner einzelnen Stimme sich wie schon in Spanien bereits auf dem nächsten Wahlkongress des Weltverbandes sehr wohl auch einmal gegen kandidierende Vertreter des ITTF-Establishment stellen könnte und die Gruppe sicherlich auch noch auf anderen Kontinenten Unterstützung finden könnte. Anders ausgedrückt: „Achtung, Ihr da oben: Eure Wiederwahl ist kein Selbstläufer.“

Diese Drohkulisse soll für die „Kleinen“ das Faustpfand für die Durchsetzung ihres tatsächlichen Interesses sein: Geld nämlich. Malta und Co. wollen ihren Anteil an jenem Kuchen aus den von der ITTF erhofften Einnahmesteigerungen durch die forcierte Professionalisierung und – ja, das böse Wort: Kommerzialisierung des Premiumprodukts Weltmeisterschaft. 

Deswegen erscheinen zwei Sachen sicher: Zum einen wird die Zeit auch bei der ITTF ganz bestimmt nicht noch einmal zurückgedreht und die WM künftig tatsächlich ein Endturnier der absoluten Spitzenteams bestenfalls unter Berücksichtigung eines kontinentalen Proporzes sein. Zum anderen wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in den zu erwartenden Verhandlungen zwischen der ITTF und den Verbänden ein Schlüssel zur Verteilung der Erlöse aus der WM-Vermarktung gefunden werden. Danach sind alle zufrieden: Die ITTF-Spitzenleute haben ihre Elite-Turniere und ihre mittelfristige Zukunft sicher, und Malta sowie viele andere kleine Verbände dürfen sich über einen mehr oder weniger warmen Geldregen freuen. Ach ja: Und Maltas Tischtennis-Spieler? Die müssen sich, im Idealfall mit Teilen des zusätzlichen ITTF-Geldes gefördert, halt weiter verbessern, wollen sie sich in Zukunft über eine - hoffentlich gut durchdachte – Qualifikation auch einmal zu einer Weltmeisterschaft schmettern.

Doch so spöttisch das klingen mag, so sehr funktioniert Leistungssport eben. Hierzulande können die Bundestrainer ja auch immer nur eine Handvoll Aktive für ein WM- oder EM-Turnier nominieren und nicht auch mehrere Dutzend anderer Kandidaten, die sicherlich auch gerne dabei sein wollen. 

Globales WM-Interesse als Bestätigung für die ITTF
Die künftige Auslese nach vorher klar definierten Kriterien macht die Weltmeisterschaften denn auch erst zu einem Großereignis auch unter spitzensportlichen Gesichtspunkten. Die weitreichende Bedeutung und positiven Auswirkungen der ITTF-Entscheidung für eine Verkleinerung ihrer WM-Turniere wurde zuletzt schon durch die hohe Zahl von Interessenten für die ersten Titelkämpfe nach den neuen Vorgaben 2021 in den Einzel-Wettbewerben und ein Jahr später in den Mannschafts-Konkurrenzen deutlich: 13 Länder aus allen Erdteilen möchten dabei einmal die Gastgeberrolle übernehmen, und manchen Kandidaten davon ist die Bewerbung nur dadurch möglich, dass eine WM-Veranstaltung unter den neuen Rahmenbedingungen auch mit geringerem Aufwand als bei den „Mammutturnieren“ früherer Prägung zu organisieren und eben auch einfacher zu refinanzieren ist. 

In jedem Fall aber unterstreicht der regelrechte „Hype“ um eine WM-Ausrichtung auch einen von Traditionalisten im Tischtennis oft infrage gestellten Nutzen für die allgemeine Entwicklung des Sports: Gerade in Ländern wie Tunesien, Marokko, Chile oder Puerto Rico dürfte Tischtennis durch eine WM wahrhaftig einen Schub bekommen.

DTTB vor emotionalen Wahlkämpfen
Der DTTB dürfte die Chancen für kleine Länder mit einem lachenden und weinenden Auge sehen: Zwar kann Deutschland einerseits die neuen Möglichkeiten für „Underdogs“ allgemein sicher nur begrüßen, andererseits jedoch bedeuten die Potenziale für den Sport in diesen „Weiße Flecken“-Regionen der Tischtennis-Welt durchaus ernstzunehmende Konkurrenz für seine Kandidaturen für die beiden WM-Turniere. Doch will der DTTB eine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut erfolgreiche WM wie zuletzt im Vorjahr in Düsseldorf oder zuvor 2012 in Dortmund ausrichten, muss der Verband sich für 2021 oder 2022 diesem sicherlich  auch emotionalem Wahlkampf stellen: Denn auch seine unersetzlichen Zugpferde Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov können die Uhr nicht zurückdrehen, wären 2021 schon 40 (Boll) und 33 (Ovtcharov) und zu späteren Zeitpunkten womöglich nicht mehr die gewohnten Garanten für die Beteiligung von deutschen Aktiven an den Schlussrunden. 

Insofern ist der DTTB mit seinem Interesse an den WM-Turnieren 2021 und 2022 alles andere als ein Spielverderber für die kleineren Verbände. Seine Kandidaturen gerade für diese beiden Veranstaltungen sind sogar alternativlos – auch weil nicht nur die kleinen Verbände auf ihre eigenen Vorteile achten dürfen.

(Dietmar Kramer)

Kommentar schreiben

Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.

* Pflichtfeld

Copyright © 2024 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.