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Dietmars Blog: Deutschland siegt, China verliert - und bei der WM?

Im Fernduell schnitt diesmal Deutschland besser ab als China (©ITTF)

24.04.2017 - Gut einen Monat vor den Weltmeisterschaften in Düsseldorf waren die Erfolge der deutschen Aktiven bei den Korea Open ein wahrhaftiger Appetithappen. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Nackenschläge für Chinas Seriensieger bei den Asienmeisterschaften schürten Boll und Co. das zarte Pflänzchen Hoffnung auf Medaillen auch beim Großereignis des Jahres vor der eigenen Haustüre. Unser Blogger Dietmar Kramer versucht sich an einer Einordnung der Vorzeichen.

Unerbittlich läuft der Countdown zu den Weltmeisterschaften in Düsseldorf herunter. Nicht einmal mehr 40 Tage vergehen noch bis zum ersehnten Großereignis. Nimmt man die jüngsten Ergebnisse der voraussichtlichen Hauptdarsteller am Rhein zum Maßstab, müssen sich die Fans – vielleicht doch etwas überraschend – nicht nur auf ein neuerliches China-Festival einstellen. 

Incheon-Erfolge als WM-Mutmacher

Die Erfolge von Timo Boll und Co. am vorletzten April-Wochenende bei den Korea Open nämlich machen für die Titelkämpfe Hoffnung wenigstens auf mitunter offene Matches, idealerweise eben auch schon um Medaillen. Immerhin haben insbesondere die Mannen von Bundestrainer Jörg Roßkopf in Incheon ihren sicherlich ernst gemeinten, aber vor dem Hintergrund von Chinas Dominanz immer auch nur etwas pflichtbeflissen klingenden Ankündigungen von Angriffen auf die Tischtennis-Großmacht beachtliche Taten folgen lassen. 

Die gelungene Generalprobe der DTTB-Asse für Düsseldorf gewinnt grundsätzlich beim Blick auf die großen Rivalen an Gewicht: Bei den Asienmeisterschaften eine Woche vor Incheon erlebten die erfolgsgewohnten Chinesen eine Pleitenserie sondergleichen und wurden letztlich nur von Fan Zhendong wenigstens noch bei den Herren vor einem totalen Desaster bewahrt. Gegensätzlicher also hätten die letzten ernsthaften Standortbestimmungen der beiden mutmaßlich großen Rivalen von Düsseldorf nicht verlaufen können.

Die Bedeutung der unterschiedlichen Generalproben

Was aber lässt sich daraus schließen? Fraglos dürften Incheon-Sieger Boll und Final-Debütant Patrick Franziska mit breiterer Brust von der Halbinsel heimkehren und tatsächlich mit dem oft zitierten Rückenwind in den Endspurt der WM-Vorbereitung gehen. Routinier Boll tut sicherlich die Gewissheit gut, nach rund sieben Jahren doch noch einmal ein World Tour-Turnier für sich entschieden zu haben; Franziska indessen konnte nach seiner langen Zwangspause das starke Ergebnis in einer für seine Verhältnisse durchaus beachtlich besetzten Konkurrenz so gut brauchen wie wohl kein anderer von Roßkopfs WM-Kandidaten. 

Gleichwohl gehört die Incheon-Bilanz relativiert: Die Chinesen leckten daheim erst einmal ihre Wunden, und auch die große Mehrheit der erweiterten Weltelite fehlte in Südkorea. Natürlich mag man orakeln, ob vor allem Boll gegen einen Ma Long oder Xu Xin in ihren Verfassungen von Wuxi auf Augenhöhe hätte agieren können, doch bleiben solche Vergleiche dennoch müßig. Einigermaßen verlässlich und dabei ausgesprochen optimistisch erscheinen jedoch Bolls eigene Worte nach seinem Turniersieg, wieder zu alter Form zurückzufinden und eine gute Grundlage für den Endspurt bis zur WM zu sehen. Welche „alte Form“ der Rekordeuropameister jedoch genau meint – jene aus seiner ganz großen Glanzzeit oder immerhin auch noch jene vor seiner Knieoperation im September 2015 – ließ Boll offen.

Wie dem auch sei: Der Countdown zur WM hätte für die Gastgeber über das Erstrunden-Aus für Petrissa Solja erheblich schlechter und ernüchternder verlaufen können. Zu Recht dürfen sich die DTTB-Stars denn auch in ihrer überwiegenden Mehrzahl vor den letzten WM-Trainingslagern auf dem richtigen Weg wähnen. Das würden Ma Long und seine Kollegen momentan sicherlich auch gerne von sich sagen können. Zwar spielte Chinas Cheftrainer die Bedeutung der Niederlagen seiner Stars beim Heimspiel um die kontinentalen Titel in Wuxi demonstrativ herunter (myTischtennis.de berichtete), doch umso mehr darf man wohl von so manchen Standpauken und Sonderschichten für die gedemütigten Weltmeister ausgehen. 

China trotz Wuxi vor WM-Durchmarsch

Gleichzeitig sollte Chinas ernüchternde Wuxi-Bilanz nicht blenden: Zwar kann einerseits natürlich kein Sportler kurze Zeit vor dem wichtigsten Wettbewerb des Jahres auf derart hohem Niveau solch schwere Dämpfer brauchen wie die Chinesen nun bei der Asienmeisterschaft, doch müssten die Chinesen andererseits noch überlegen genug sein, den kleinen Schock nur als Weckruf und nicht als Alarmglocke wahrnehmen zu müssen. Vermutlich nämlich, dafür kann die hohe Anzahl an unerwarteten Niederlagen für die Chinesen in Wuxi zumindest ein Anzeichen sein, haben die Champions aus dem Reich der Mitte die asiatischen Titelkämpfe aus dem vollen Training für Düsseldorf heraus bestritten. In solchen Situationen, die immer auch nur Momentaufnahmen sind, hat auch ein Boll schon empfindliche Nackenschläge verkraften müssen. 

Entsprechend hat sich nach den letzten Formtests die Rollenverteilung für Düsseldorf mitnichten verändert: Die Deutschen mit ihren Frontmännern Boll und nicht zu vergessen Topspieler Dimitrij Ovtcharov, der intensives Heimtraining einem Praxis-Test vorzog, gehören bei der WM ohne Wenn und Aber ganz sicher zu den ernsthaftesten Herausforderern der Chinesen, die aber - Wuxi hin, Wuxi her - nach menschlichem Ermessen in der NRW-Metropole einmal mehr auf einen Durchmarsch zu den wichtigsten und vermutlich auch meisten Medaillen hoffen dürfen. Bedeutsamer für die Gastgeber als die realistischen Erfolgsaussichten, die in den „gemischten Doppeln“ von Boll und Solja mit den Chinesen auf dem Papier zumindest am besten erscheinen, ist die Außenwirkung ihrer Auftritte bei der WM. Im Fokus der Öffentlichkeit kann dabei vor allem Boll nach Incheon als ebenbürtiger Gegner in die Arena schreiten – Underdogs sind andere.

(Dietmar Kramer)

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