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Dietmars Blog: Mit revolutionärem Denken aus der Flaute?

In Hövelhof wird nächste Saison nicht mehr erstklassig gespielt (©TTV Hövelhof)

20.03.2017 - Wenige Wochen vor den Einzel-Weltmeisterschaften in Düsseldorf sorgen die Bundesligen für gedrückte Stimmung im deutschen Tischtennis. Das mangelnde Interesse von Vereinen an Plätzen in den höchsten Spielklassen des Landes sind alarmierende Anzeichen für mehr oder weniger große Strukturprobleme. Unser Blogger Dietmar Kramer versucht sich an einer Analyse und Lösungsansätzen.

Das nennt man wohl Schläge ins Kontor: Beide Bundesligen erreichen auch zur kommenden Saison nicht ihre Sollstärke. Im Herren-Bereich zerschlug sich angesichts nur einer Bewerbung aus der zweiten Liga fürs Erste die Hoffnung, dass für Klubs der Sprung ins Oberhaus durch die Aufstockung von formal zehn auf zwölf Mannschaften interessanter und vor allem weniger riskant erscheinen könnte. Noch fataler allerdings mutet die neue Situation bei den Damen an: Nur sieben Mannschaften statt der möglichen zehn Teams haben sich bis zum Meldeschluss Mitte März zum Spielbetrieb in der Eliteklasse angemeldet. Die freiwilligen Rückzüge von TUSEM Essen und des TTV Hövelhof und faktisch auch von Schlusslicht Leutzscher Füchse sind unzweifelhaft Anzeichen für eine tiefe Krise. Ohne Frage hat die Reform des Ligenbetriebes mit der Einführung der eingleisigen zweiten Liga und einer dritten Liga nicht gegriffen – bislang jedenfalls.

So wenige Wochen vor den Einzel-Weltmeisterschaften in Düsseldorf drücken die Schwierigkeiten der Bundesliga hierzulande auf die Stimmung. Es spricht Bände und suggeriert sogar eine Art Erlösung, wenn das Damen-Schlusslicht Leutzscher Füchse seine Abschiedsankündigung mit einem „wohlverdienten Abstiegsrecht“ begründet. Tatsächlich ist, nicht erst seit kurzem, etwas faul in Tischtennis-Deutschland.

Tischtennis als professioneller Mannschaftssport auf dem Prüfstand

Über die Ursachen für das mangelnde Interesse von Vereinen am Aufstieg in die höchstmögliche Liga des Landes, sportlich betrachtet eigentlich doch das Ziel schlechthin, ist an vielen Stellen und auch an dieser Stelle viel diskutiert worden. Dabei sind die unterschiedlichen Spielsysteme in den verschiedenen Klassen, der beinahe schon geradezu berstende Terminkalender und die längst unübersichtlich gewordene Anzahl von Wettbewerben auf nationaler wie internationaler Ebene nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite allerdings dürfte noch von viel größerer, weil von struktureller Bedeutung sein: Denn zum einen steht bei kritisch-nüchterner Betrachtungsweise die weitere Wahrnehmung von Tischtennis auch als Mannschaftssport infrage, und zum anderen gehört offenkundig die Frage nach dem Grad weiterer Professionalisierung gestellt.

Die Anzeichen für Fehlentwicklungen sind schon lange offenkundig: Wenn Zweitligisten bei der Frage nach dem Aufstieg abwinken, weil in einem voraussichtlichen Kampf um den Klassenerhalt im Oberhaus Rivalen fehlen, kann das für den Ligensport jedenfalls nicht gut sein. Zwei-Klassen-Gesellschaften benötigen, abgesehen von der grundsätzlichen Zersetzung des Wettbewerbs, wenigstens eine zweite Klasse.

Damen-Bundesliga benötigt Mindestanforderungen an Professionalität

Das Kardinalproblem jedoch ist wohl ein anderes und tritt in der Damen-Bundesliga anhand der aktuellen Fälle Essen und Hövelhof nur einmal mehr besonders deutlich zutage: Profi-Sport ist ohne ein Mindestmaß an Professionalität nachhaltig nicht möglich. In Essen ist ebenso der Mangel an professionellen Strukturen die Ursache für die entscheidende Etatlücke von – verglichen mit anderen Sportarten – geradezu albernen 50.000 Euro wie in Hövelhof, wo das Bundesliga-Geschäft ganz offenkundig ausschließlich eine ehrenamtliche One-Man-Show von Vereinschef Klaus-Dieter Borgmeier gewesen und angesichts von gesundheitlichen Problemen des Machers nun nicht mehr zu stemmen ist. Essen wie Hövelhof sind nur weitere Bestätigungen dafür, dass knallhartes Profi-Business und idealistische Ehrenamtlichkeit inzwischen geradezu unvereinbar sind.

Bei der eilig einberufenen Krisensitzung der verbliebenen Damen-Klubs der Rumpf-Liga dürfte natürlich zunächst die Entwicklung eines kurzfristigen Überlebenskonzepts im Vordergrund stehen. Über die Entscheidung für einen gleichermaßen noch möglichst zuschauer- und auch sponsorenfreundlichen Liga-Modus – Play-offs, Pre-Play-offs, Finalrunde oder gar Doppelrunde sind nur einige Varianten – hinaus jedoch müssen sich die Vereinsvertreter allmählich auch ans Eingemachte wagen: Das Damen-Oberhaus benötigt, nicht zuletzt aufgrund der nicht minder alarmierenden Entwicklung im Bereich der weiblichen Mitglieder, noch weitaus mehr als die Herren einen tragfähigen Plan zur schrittweisen Etablierung von tatsächlich professionellen Strukturen. Dazu gehören zuvorderst Mindestanforderungen an den Organisationsgrad von Erstliga-Vereinen, die in mittelfristiger Zukunft durchaus erhöht werden könnten, ja sollten. Das Herren-Pendant TTBL darf dabei, den noch bestehenden Mängeln zum Trotz, durchaus als Beispiel dienen. Verglichen mit den Verhältnissen in den 90er Jahren noch dürfen sich viele Vereine auch hinter Branchenführer Borussia Düsseldorf sehr wohl gratulieren.

Mut zu Veränderung gefordert

Beim notwendigen „Tabularasa“ der Damen-Klubs sollten sich die Manager zudem auch hinsichtlich der sportlichen Entwicklung der Liga keine Denkverbote auferlegen. Das zum Teil enorme Ungleichgewicht und die zementiert erscheinenden Kräfteverhältnisse innerhalb des Oberhauses, da greift die Kritik von „Aussteiger“ Leipzig durchaus, wirken sich schädlich auf die Attraktivität der gesamten Liga aus. Denn das derzeitige System erstickt im Spiel der freien Kräfte beinahe zwangsläufig jeden ernsthaften Wettbewerb.

Deswegen ist Mut zu Veränderung gefragt, wenn nicht sogar gefordert: Die Not jedenfalls ist groß und bedrohlich genug, sich auch einmal an alte Zöpfe heranzuwagen, auch einmal „Revolution“, das Unmögliche zu denken. Womöglich können ausgerechnet die hochprofessionellen US-Ligen ein Leitbild sein: Salary Caps, also Gehaltsobergrenzen, und ein ausgeklügeltes Draft-System garantieren zusammen beinahe jährlich eine Belebung des Wettbewerbs, Serienmeister sind im Basketball (NBA) und Eishockey (NHL) jedenfalls absolute Ausnahmen. So attraktiv sind die Spiele in diesen Ligen, dass sich womöglich auch die Herren-Bundesliga in einer angepassten Form ein Beispiel daran nehmen könnte.

Zur ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Status quo gehört für beide Bundesligen auch einmal wieder die Frage nach der grundsätzlichen Sollstärke. Die jüngere Vergangenheit lässt zumindest Zweifel als angebracht erscheinen, ob die gültigen Formate (Herren zwölf Klubs und Damen zehn) eine realistische Spiegelung der Leistungsfähigkeit von Vereinen in Deutschland darstellen oder nicht doch überholtes Wunschdenken sind. Vielleicht wären gesundgeschrumpfte Ligen mit acht Teams, in denen sich auch deutsche Spieler behaupten können sollten, und mit passenden Spielsystemen auf Sicht eine sicherere Variante.

(Dietmar Kramer)

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