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Blog: Japan hinter China – näher dran und trotzdem weit weg

Bei der Jugend-WM war Japan in sechs von sieben Finals vertreten und konnte dabei drei Titel gewinnen (©Flickr/ITTFWorld)

06.03.2017 - Für ein ungewohntes Bild im internationalen Tischtennissport sorgte im Dezember die Jugend-WM: Nicht China, sondern Japan stand im Mannschafts-Wettbewerb zweimal ganz oben auf dem Treppchen und mit dem 13-jährigen Tomokazu Harimoto stellte das Land der aufgehenden Sonne auch den jüngsten Jugend-Weltmeister aller Zeiten im Einzel. Sind die Japaner bald in der Lage, die Chinesen vom Thron zu stoßen? Dieser Frage geht Jan Lüke in seinem Blog nach.

All eyes on Tokyo! Wenn im Sommer 2020 die Olympischen Spiele in Japans Hauptstadt Station machen, geht es auch im Tischtennis um die bedeutsamsten Titel und Medaillen der gesamten Sportart. Auf die hält China seit mittlerweile einer kleiner Ewigkeit ein Abonnement: Fünf der letzten sechs Olympiasieger der Männer kamen aus China, dazu auch fünfmal der Zweite. Zudem war im selben Zeitraum sechsmal in Folge der Herren-Weltmeister ein Chinese. Kurzum: Gegen die Dominanz der Chinesen im Welttischtennis ist die Dominanz des FC Bayern München in der Bundesliga ein schlechter Scherz.

Bei den Chinesen ist es schließlich so wie mit den Bayern: Man braucht keine unverhältnismäßige Parteilichkeit, um sie sich von der Spitze wegzuwünschen. Dem sportlichen Wettbewerb würde Variation oder zumindest ernsthafte Konkurrenz ab und an gut zu Gesicht stehen. Und viele glauben, die im Tischtennis auch schon gesichtet zu haben: Es ist, so glauben sie, Japan, das China vom Thron stoßen soll. Aber hat Nippon tatsächlich das Zeug zum Machtwechsel? Ich bin der Meinung: nein.

Sechs Spieler in den Top 30, zwölf in den Top 100
Die Gegenwart des japanischen Männer-Tischtennis ist zweifelsohne herausragend: Sechs der besten 30 Spieler der Weltrangliste sind Japaner – ebenso wie zwölf der besten 100. Zu den ohnehin etablierten Akteuren Jun Mizutani und Koki Niwa, seit geraumer Zeit Top-20-Spieler und mehr, gesellen sich etwa mit Indian-Open-Halbfinalist Yuya Oshima, Mahara Yoshimura oder Masaki Yoshida, jüngst Sieger über Dimitrij Ovtcharov, weitere Kräfte hinzu. Format: Weltklasse. Die nächste Garde rückt zudem bereits nach: In der Mannschaft wie auch im Jungen-Einzel stellen die Japaner die aktuellen Jugend-Weltmeister. Der 13 Jahre alte Tomokazu Harimoto ist dabei die herausragende Figur: Der stimm- und schlaggewaltige Teenager ist so außergewöhnlich gut, wie es seit Dekaden wohl kein Kind in seinem Alter mehr war. Und deshalb das wohl heißeste Gesprächsthema im Welttischtennis.

Japan hat seinen Status als aktuell zweitbeste Nation im Herren-Tischtennis, nicht zuletzt mit der Silbermedaille von Rio, in der jüngsten Vergangenheit festigen können – und mag auch näher an China herangerückt sein. Die Abstände zur ersten Riege der Chinesen aber sind noch immer gigantisch. Und sie werden es wohl bis auf weiteres bleiben, wie es auch der ehemalige japanische Nationaltrainer Leo Amizic schon zuletzt beurteilt hatte.

Die Schlaghärte
Um das Toplevel der besten Chinesen zu erreichen, werden die Japaner die Ausbildung ihrer Spieler umstellen und mehr an das Spiel der Chinesen anpassen müssen. Bislang fehlt es japanischen Spielern zumeist an der Physis, aber vor allem an der Technik, um mit ihren Schlägen die notwendige Wucht und die Durchschlagskraft zu entwickeln. Mizutani, Niwa oder Oshima spielen hart – aber sie spielen nicht hart genug für Ma Long oder Fan Zhendong. Auf die Schlaghärte aber richten die Chinesen die Spielsysteme ihrer Besten aus: ihr Material und ihre Physis, die ihnen wiederum eine Schlagtechnik mit langen Schwungbewegungen und Beschleunigungswegen gerade beim Vorhandtopspin ermöglicht. Das ist auch bei der nachfolgenden Generation der Chinesen wieder zu erkennen: Lin Gaoyuan, Liang Jingkun oder Zhou Yu. Sie alle spielen längst nicht so stabil wie die Top Four, aber bereits mit brachialem Tempo.

Es mag in dem Zuge nicht von ungefähr kommen, dass China seine besten Spieler in der Regel erst in späteren Jahren aufs internationale Parkett schickt – nämlich dann, wenn ihre Schläge samt Technik den allerhöchsten Ansprüchen genügen. Und die lauten in China wohl immer: der Beste der Welt damit werden zu können. Japan verfährt anders – entsendet seine Spieler (und im Übrigen erst recht: seine Spielerinnen) sehr früh auf die internationale Turniertour, beraubt sich dadurch aber auch ein Stückweit der Möglichkeit, ihr technisches Niveau noch weiter zu stabilisieren und anzuheben. Sprich: auf das der Chinesen. Ein Jun Mizutani stand das Zeit seiner bisherigen – und dennoch natürlich imposanten – Karriere im Weg: Seine fehlende Power ließ es nicht zu, dass er die besten Chinesen dauerhaft gefährden konnte. Und auch beim vermeintlichen Wunderkind Harimoto ist es ähnlich: Ob der einmal Weltmeisterweihen entgegennehmen wird, wird man nicht daran bemessen können, wie gut er mit 14 oder 16 ist. Sein schon sehr weit entwickeltes Wettkampfspiel, das er stark über seine Rückhand aufbaut, braucht – wenn sein Körper voll entwickelt ist: Schlaghärte. Es braucht die Schlaghärte der Chinesen. Sonst jubeln nicht nur beim Olympia-Heimspiel in Tokio, sondern auch darüber hinaus: die Chinesen.

(Jan Lüke)

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