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Dietmars Blog: Quo vadis, NDM - eine Bestandsaufnahme

Treffen Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll diesmal wieder aufeinander (©ITTF)

28.02.2017 - Wer ist der bzw. die Beste im ganzen Land? Das soll einmal im Jahr bei den Nationalen Deutschen Meisterschaften herausgefunden werden, bei denen nur die einheimische Elite in die Box darf. Vor den diesjährigen Titelkämpfen am ersten März-Wochenende in Bamberg macht sich unser Blogger Dietmar Kramer Gedanken über den Stellenwert des Traditionswettbewerbs und betrachtet, wie sich die Wahrnehmung des Turniers verändert hat.

Wie hat man die Nationalen Deutschen Meisterschaften in der Vergangenheit nicht immer beinahe marktschreierisch beworben: „Stelldichein der Besten“ oder auch „Showdown der Stars“ sind nur zwei der vielen Slogans, die einst auf die alljährlichen Wettbewerbe um die wichtigsten Titel auf bundesweiter Ebene einstimmen sollten und auch tatsächlich einstimmen konnten. Ob Conny Freundorfer, Eberhard Schöler, Wilfried Lieck, Peter Stellwag, Jörg Roßkopf oder auch Timo Boll: Viele, viele Jahre und bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit waren die „NDM“ ein Muss für jeden, der im deutschen Tischtennis etwas galt und auch auf sich hielt.

„Stell Dir vor, es ist DM…“ 

Das hat sich - in schleichender Form – in der jüngeren Vergangenheit etwas geändert. Seit einigen Jahren treibt den engagierten Organisatoren des Turniers in der Woche vor dem ersten Aufschlag beinahe jede Benachrichtigung über eine neue Email den Blutdruck in die Höhe, denn jede elektronische Notiz könnte auch die Absage eines Top-Aktiven wegen Erkältung, Verletzung oder ähnlichem und damit mitunter durchaus einen Schlag für die Zugkraft des eigenen Events bedeuten. Das Horrorszenario eines jeden DM-Ausrichters liegt auf der Hand: „Stell Dir vor, es ist DM, und kein Topspieler kommt.“

Wohl auch zur Vermeidung des zuletzt immer wieder einmal aufgekommenen Vorwurfes eines Etikettenschwindels locken die Macher der diesjährigen NDM in Bamberg auf der offiziellen Ticket-Homepage gar nicht erst – was immerhin als naheliegend erscheinen könnte – mit Boll oder Dimitrij Ovtcharov als großer Zugnummer. Ganz schlicht wird auf die „Nationalspieler um die Titelverteidiger Patrick Baum und Kristin Silbereisen“ hingewiesen. Sicher ist sicher, lautete dabei ganz offenkundig die Devise (alles andere würde Fragen nach der Vermarktungsphilosophie aufwerfen).

Wie wichtig ist die NDM für die Stars?

Dabei herrscht keineswegs Desinteresse, fühlt das Publikum offenbar nur einen Mangel an Wertschätzung für die NDM bei den Assen. Mitnichten jedenfalls fehlen Boll oder ein Dimitrij Ovtcharov ständig; Boll wäre kaum zum alleinigen Rekordmeister mit zehn Titelgewinnen durch Absagen avanciert. Auch ließen gestandene Profis wie Ovtcharov oder Petrissa Solja bei ihren erstmaligen (und bisher einzigen) Titelgewinnen sehr wohl deutlich erkennen, welch hohe Bedeutung ein Erfolg bei der NDM für sie hatte – den Titel „Deutscher Meister“ hat nun auch wirklich nicht jeder in seiner Vita stehen.

Gleichwohl muss sich niemand etwas vormachen: Für einen Boll, einen Ovtcharov, vielleicht auch schon für eine Solja und Sabine Winter sind NDM-Turniere inzwischen hinsichtlich ihrer Vermarktungsstrategien und Popularitätssteigerung wichtiger als unter sportlichen Kriterien. Für die Elite hierzulande kommt ihr auf ein gerade noch vertretbares Minimum eingedampftes DM-Programm wohl noch am ehesten einem guten Training unter Wettkampfbedingungen gleich. Für diese Entwicklung indes sind die deutschen Topstars ebenso wenig in die Verantwortung zu nehmen wie für gesundheitliche Probleme (gefühlt häufiger) im Vorfeld einer NDM. Auch in den Organisationsabläufen lassen sich – will man die NDM in dieser Form - nur schwerlich Hinweise auf Gründe für die empfundene Entwertung des Championats finden. 

Mehrere Gründe für veränderte Wahrnehmung

Worin aber liegen denn die Ursachen mindestens für die Wahrnehmung eines Wandels der NDM? Eine Analyse fällt vielfältig aus, kann aber in Ermangelung belastbarer Daten und Fakten auch nicht einen absoluten Vollkommenheitsanspruch erheben. Natürlich aber ist da zuvorderst das veränderte, glücklicherweise gestiegene Niveau der deutschen Topspieler auch in der Breite. Nicht nur Boll und Ovtcharov beweisen sich schon lange nicht mehr in Vergleichen auf nationaler Ebene (so sehr sie es in fast schon vergessenen Zeiten durchaus noch mussten); auch die Garde dahinter und auch die besten Damen des Deutschen Tischtennis-Bundes suchen und finden angemessenere Herausforderungen hinter den Grenzen Deutschlands und Europas. Das wissen auch die Fans.

Außerdem ist das Umfeld nicht mehr mit den Rahmenbedingungen wie noch Mitte der 90er Jahre vergleichbar. Mittlerweile ist der Terminkalender vor allem durch internationale Veranstaltungen (Pro Tour, heute World Tour, Champions League, etc.) so aufgebläht, dass eine NDM kaum noch Beachtung findet. Wo früher die nationalen Titelkämpfe außerdem noch eine realistische Gelegenheit zur Qualifikation für ein Großereignis wie Welt- oder Europameisterschaft waren, sind heute die zum Teil hochkarätigen Wettbewerbe auf internationaler Bühne in aller Regel viel aussagekräftiger oder die Zielveranstaltungen wie die EM aufgrund der Terminfülle mittlerweile auf einen Termin verschoben, für den eine NDM noch gar keine ernsthafte Bedeutung haben kann. Erschwerend kommt hinzu, dass wie im Vorjahr internationale Turniere wie die 2016 für Olympia wichtigen Kuwait Open quasi per Dekret von oben auf einen eigentlich weitgehend in Europa traditionell für nationale Meisterschaften reservierten Termin gelegt werden. Zusammenarbeit zwischen Verbänden darf im heutigen Zeitalter des Profi-Sports durchaus anders aussehen.

Der Zufall ist in der Betrachtung des Themas ein weiterer Faktor. Die NDM und ihr Ansehen litten in den vergangenen Jahren mit Sicherheit auch darunter, dass Boll und Ovtcharov bei den vergangenen sechs Auflagen tatsächlich nur einmal (2014) auch gleichzeitig antraten. Bei allen anderen Titelkämpfen meldete sich entweder einer der beiden Top-10-Stars wegen Verletzung/Krankheit ab oder musste andernorts spielen (Ovtcharov 2016 in Kuwait). Wenn aber zwei Ausnahmesportler einer Sportart in einem Land sich beim formal wichtigsten Turnier des nationalen Verbandes eben nur ausnahmsweise miteinander messen, nimmt das Interesse in der Öffentlichkeit wegen des fehlenden Reizes kontinuierlich ab und damit auch die wahrgenommene Bedeutung.

Präsentation als Ansatz für Ansehenssteigerung

Diskussionswürdig kann auch die Präsentation der NDM sein. Begrüßenswert ist der Weg aus früher gern genutzten Sporthallen in größere Veranstaltungstempel allemal. Was bei allen schon vorgenommenen Maßnahmen zur Straffung des Programms in aller Regel noch fehlt, ist die Darstellung der NDM als ein Festival des deutschen Tischtennis. Die Besten der Besten, aber auch nur die Besten der Besten gegeneinander und dann noch eine Summe X als offizielle Siegprämie – ein solches Format, ganz im Stile der heutigen Zeit, könnte die Anziehungskraft der NDM und den Stellenwert (vielleicht auch für die Spieler) wieder steigern.

Solchen Chancen steht jedoch der für viele durchaus charmante und auch bedeutsame Charakter des Turniers als ‚Familientreffen‘ gegenüber. Grenzen sind leicht gezogen, eine Abwägung von Pro und Contra indes fällt nicht leicht. Zumal eine NDM-Teilnahme für viele Aktive auf Bundesebene ein absolutes Highlight ihrer aktiven Zeit und damit noch ein echtes großes persönliches Ziel darstellt – unabhängig davon, ob am Turnierende ein Timo Boll triumphiert oder wie im vergangenen Jahr ‚nur‘ ein Patrick Baum.

(Dietmar Kramer)

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